30. Juli 2008

Sie schlaeft

Wieder konnte ich nicht schlafen. Daher war ich nachts wieder am Schreiben, Lesen, Tippen. Wie gerne hätte ich deine Stimme gehört, die mich zum Schlafen wiegen würde. Heute war sie nicht da. Heute ist der alte Meister Tucholsky an der Reihe, mir Schlaflieder zu flüstern. Komm am Morgen aus deinem Traum in meinen. Wecke mich. Damit ich im Schlaf nicht sterbe. Es wäre viel zu früh. Ohne dich sterbe ich langsam jeden Tag. Ich werde auf dich schlafend warten, und dadurch werde ich leben...


Kurt Tucholsky (1890-1935)

Sie schläft

Morgens, vom letzten Schlaf ein Stück,
nimm mich ein bißchen mit –
auf deinem Traumboot zu gleiten ist Glück –
Die Zeituhr geht ihren harten Schritt ...
pick-pack ...

»Sie schläft mit ihm« ist ein gutes Wort.
Im Schlaf fließt das Dunkle zusammen.
Zwei sind keins. Es knistern die kleinen Flammen,
aber dein Atem fächelt sie fort.
Ich bin aus der Welt. Ich will nie wieder in sie zurück –
jetzt, wo du nicht bist, bist du ganz mein.
Morgens, im letzten Schlummer ein Stück,
kann ich dein Gefährte sein.

[Theobald Tiger
Die Weltbühne, 25.09.1928, Nr. 39, S. 494,
wieder in: Mona Lisa.]


Liebespaar am Fenster

Dies ist ein Sonntag vormittag;
wir lehnen so zum Spaße
leicht ermüdet zum Fenster hinaus
und sehen auf die Straße.
Die Sonne scheint. Das Leben rinnt.
Ein kleiner Hund, ein dickes Kind ...
Wir haben uns gefunden
für Tage, Wochen, Monate
und für Stunden – für Stunden.

Ich, der Mann, denke mir nichts.
Heut kann ich zu Hause bleiben,
heute geh ich nicht ins Büro –
... an die Steuer muß ich noch schreiben ... .
Wieviel Uhr? Ich weiß nicht genau.
Sie ist zu mir wie eine Frau,
ich fühl mich ihr verbunden
für Tage, Wochen, Monate
und für Stunden – für Stunden.

Ich, die Frau, bin gern bei ihm.
Von Heiraten wird nicht gesprochen.
Aber eines Tages will ich ihn mir
ganz und gar unterjochen.
Die Dicke, daneben auf ihrem Balkon,
gibt ihrem Kinde einen Bonbon
und spielt mit ihren Hunden ...
So soll mein Leben auch einmal sein –
und nicht nur für Stunden – für Stunden.

Von Kopf zu Kopf umfließt uns ein Strom;
noch sind wir ein Abenteuer.
Eines Tages trennen wir uns,
eine andere kommt ... ein neuer ...
Oder wir bleiben für immer zusammen;
dann erlöschen die großen Flammen,
Gewohnheit wird, was Liebe war.
Und nur in seltenen Sekunden
blitzt Erinnerung auf an ein schönes Jahr,
und an Stunden – an glückliche Stunden.

[Theobald Tiger
Uhu, 01.11.1928, Nr. 2, S. 47.]


Sie, zu ihm

Ich hab dir alles hingegeben:
mich, meine Seele, Zeit und Geld.
Du bist ein Mann – du bist mein Leben,
du meine kleine Unterwelt.
Doch habe ich mein Glück gefunden,
seh ich dir manchmal ins Gesicht:
Ich kenn dich in so vielen Stunden –
nein, zärtlich bist du nicht.

Du küßt recht gut. Auf manche Weise
zeigst du mir, was das ist: Genuß.
Du hörst gern Klatsch. Du sagst mir leise,
wann ich die Lippen nachziehn muß.
Du bleibst sogar vor andern Frauen
in gut gespieltem Gleichgewicht;
man kann dir manchmal sogar trauen ...
aber zärtlich bist du nicht.

O wärst du zärtlich!
Meinetwegen
kannst du sogar gefühlvoll sein.
Mensch, wie ein warmer Frühlingsregen
so hüllte Zärtlichkeit mich ein!
Wärst du der Weiche von uns beiden
wärst du der Dumme. Bube sticht.
Denn wer mehr liebt, der muß mehr leiden.
Nein, zärtlich bist du nicht.

[Theobald Tiger
Die Weltbühne, 01.12.1931, Nr. 48, S. 826.]

Fly Me To The Moon

Vor 50 Jahren wurde nicht nur der Bossa Nova erfunden, sondern auch NASA (National Aeronautics and Space Administration) wurde am 29. Juli 1958 gegründet. Diesbezüglich gibt es jetzt umfangreiche Informationen und vor allem das kolossale Bild-Archiv der amerikanischen Weltraumbehörde frei im Netz zu betrachten. Auch ein großes Video-Archiv auf Youtube wurde veröffentlicht.

Fly Me To The Moon (NASA's moon exploration to the music of Frank Sinatra)


FAZ: 50 Jahre Nasa
Die Feierlaune fehlt

"[...]So richtig begonnen hat das Unternehmen Raumfahrt mit dem „Sputnik-Schock“: Als die Sowjetunion im Oktober 1957 erstmals einen Satelliten ins Weltall transportieren, stürzte für die Amerikaner eine Welt zusammen. Mit einem Schlag wurde klar, dass die ansonsten in Wissenschaft und Technik eher belächelten Russen zu Überraschungen in der Lage sind. Präsident Dwight D. Eisenhower handelte prompt: Er unterzeichnete die Nasa-Gründungsakte - zwei Monate später nahm die Behörde ihre Arbeit auf. 8000 Mitarbeiter zählte das neue Unternehmen zu Beginn, heute sind es rund 18.000.

Doch zunächst blieben die Sowjets im „space race“, in dem vom Kalten Krieg geprägten Weltraum-Rennen, weiterhin in Führung. Am 12. April 1961 schickten die Russen mit Juri Gagarin den ersten Menschen ins Weltall - es dauerte bis zum 20. Februar 1962, bis das mit Astronaut John Glenn auch der Nasa gelang. Doch das war der letzte große Erfolg, den die „Konkurrenz“ für sich verbuchen konnte. Von nun an lief die „Nasa-Maschine“ auf Hochtouren.
[...]
Um wieder für die rechte Weltraumbegeisterung zu sorgen, gab Präsident George W. Bush neue Ziele vor: „Zurück zum Mond, zum Mars und darüber hinaus“, heißt das Programm. Im Jahr 2020 soll wieder ein Amerikaner seinen Fuß auf den Mond setzten, es soll sogar eine ständige Mondbasis gebaut werden, sozusagen als „Sprungbrett“ für weitere Mission. 2037 soll dann erstmals ein Amerikaner auf dem Mars landen. Doch trotz großer Ziele und klarer Vorgaben - noch fehlt der rechte Funke, so richtig hat die Vision noch nicht eingeschlagen." weiter lesen

50 Years of Exploration - Videos: Teil 1, Teil 2

Mehr NASA-Videodokumente gibt es hier.

Generation nach Philip Roth

Ein Interessanter Artikel über zeitgenössische jüdisch-amerikanische Literatur und ihre Kreateure:

Im Himmel sitzt Charlie und lacht

"Philip Roth ist out! Eine neue Generation jüdisch-amerikanischer Schriftsteller drängt auf den deutschen Buchmarkt. Mit großem Erfolg
Gott, Gott, überall Gott. Was macht das eigentlich mit dir, wenn dir 5000 Jahre Erwähltsein und Verstoßensein und Verfolgtsein ständig auf der Schulter sitzen? Was bedeutet es, wenn du keine Cola trinken und kein Mädchen anschauen kannst, ohne zu denken, dass es immer eine Regel gibt, die du brechen kannst, und immer eine Strafe, die auf dich wartet? Wer ist überhaupt dieser Gott, der dich bis auf die Toilette begleitet, der deine Tante in eine Furie verwandelt hat und Gregor Samsa in einen Käfer?
Und warum ist er so lustig, so brutal, so gütig, so unberechenbar, dieser Gott, dass er all seine Knechte, die sich wehren wollten, so wunderbare Bücher schreiben ließ, all die Singers und Bellows und Roths und Malamuds, die jetzt jenen in Amerika im Nacken sitzen, die wieder einmal darüber nachdenken, was es heißt, jüdisch zu sein und jung und vielleicht zornig, Schriftsteller wie Nathan Englander oder Shalom Auslander also, die von den Helden der Romankunst genauso beeindruckt sein könnten wie von den 5000 Jahren Erwähltsein.[...]" weiter lesen

Bossa Nova - 50

Dank dem Spiegel-Artikel über das 50-jährige Jubiläum von Bossa Nova erinnerte ich mich wieder an die lieb gewonnenen Lieder, die ich auch Euch sehr gerne ans Herz legen möchte. Näher kennengelernt habe ich diese Musikrichtung von den wundervollen Aufnahmen der kanadischen Jazz-Legende Oscar Peterson auf der CD “Soul Espanol”. (Ich berichtete darüber hier bereits im September letzten Jahres). Vor allem das Lied How insensitive, komponiert von Antonio Carlos Jobim, nahm mich vollkommen in seine Gewalt (so gefühlvoll gesungen von Myrra Malmberg). In meinem Kopf tauschte ich damals sie und ihn in den Liedworten um. Ich wurde somit zur Verlassenen, nicht er, und hörte es mir stundenlang an. Man kann es nicht anders, als sich in diese Musik nicht zu verlieben.

Stan Getz & Astrud Gilberto “The Girl from Ipanema”

Ipanema für alle

“Vom Barsound zum Massenphänomen: Aus der Vermählung von Cool Jazz und Samba entstand Ende der fünfziger Jahre der Bossa Nova. Zum runden Jubiläum holt das legendäre Label Blue Note einige absolute Raritäten des Genres aus dem Archiv.

Heloisa Eneida Menezes Paes Pinto heißt die berühmteste Brasilianerin. Weit vor Supermodel Gisele Bündchen oder der omnipräsenten Sängerin Marisa Monte rangiert das einst unbekannte Mädchen vom Ipanema-Strand. Nie gehört? Das kann kaum sein, denn schließlich war es der wiegende Gang der damals 18-Jährigen, der Antonio Carlos Jobim und seinen Kumpel Vinícius de Moraes zum bekanntesten Song Brasiliens inspirierte.[...]” weiter lesen

Nara Leão singt "Manhã de Carnaval"

"50 Jahre wird der Bossa Nova, und noch immer feiert er mit seinem leisen Sound riesige Erfolge. Mitten im politischen und wirtschaftlichen Umbruch Brasiliens entstand der Bossa Nova im Jahre 1958, und lieferte den sanftesten Soundtrack einer Revolution…[...]" weiter lesen

Amazon: Blue Note Plays Bossa Nova [Box-Set]

Bezueglich Atheismus

"Atheism is the vice of a few intelligent people." [Voltaire]
“To YOU I'm an atheist; to God, I'm the Loyal Opposition.” [W. Allen]

Mehr Weisheiten, betreffend Atheismus, gibt es hier.

Auch einige Artikel zum Thema:
welt.de: Gott ist unwahrscheinlich – zu 98 Prozent
FAZ: Warum der neue Atheismus unsere Kultur verflacht

Frühere Blog-Beiträge berührten das komplizierte Verhältnis zur Religion:
- «Der Gott, an den ich nicht glaube, ist ein jüdischer», erklärte David Ben Gurion.
- Einstein privat

28. Juli 2008

La Notte

Heute zeigt arte um 21:00 wieder ein Meisterstück der Filmgeschichte. "Die Nacht" (1961) von Michelangelo Antonioni mit Jeanne Moreau, Marcello Mastroianni und Monica Vitti.

Das intellektuelle Flirten zwischen Valentina und Giovanni, das mehr als nur Flirten offenbart:

"Synopsis: Lidia (Jeanne Moreau) und der Schriftsteller Giovanni (Marcello Mastroianni) besuchen ihren todkranken Freund, den Schriftsteller Tommaso (Bernhard Wicki), im Krankenhaus. Jeder erlebt seine Angst, Tommaso zu verlieren, auf seine Weise. Danach muss Giovanni auf eine Promotion-Party für sein jüngstes Buch. Anschließend treffen sich beide wieder zu Hause. Zwischen ihnen baut sich ein zunehmend bedrückendes Schweigen auf. Sie beschließen auszugehen. Ihre (titelstiftende) Nacht beginnt in einer Stripteasebar und endet auf einer Party in der Villa eines reichen Industriellen.
Kommentar: Der Film ist primär konzeptuell angelegt. Das Thema ist die sukzessive Auflösung eines Paares. (...)
Lidia und Giovanni werden von zwei Schauspielern verkörpert, die in ihren Heimatländern Frankreich und Italien auf dem Höhepunkt ihres Erfolges standen: Jeanne Moreau und Marcello Mastroianni. In der Gleichung taucht eine dritte Größe auf, die am Ende die unvermeidliche Beweisführung antritt: Valentina (wunderbar gespielt von Monica Vitti), die hochintelligente, desillusionierte Tochter des Fabrikanten und künftige Erbin des väterlichen Imperiums, wird von dem Paar bewusst oder unbewusst manipuliert. Am Morgen schleudert sie ihnen entgegen: „Ihr beide habt mich restlos ausgelaugt!“
(...)
Ingmar Bergman, der letztes Jahr am selben Tag wie Antonioni starb, hielt „Die Nacht“ ebenfalls für Antonionis gelungensten Film – wahrscheinlich wegen des schonungslosen Intellektuellenporträts: ein Schriftsteller, der sich fast allen ihm Nahestehenden (der Ehefrau, dem Freund, dem Geschäftsmann) verweigert und sich dadurch in eine Isolation bringt, die seinem Schaffen wenig förderlich ist. Die deprimierende Promotion-Party für Giovannis Buch wird beispielsweise als „Vorzimmer zur Berühmtheit“ bezeichnet, als eine Art offizielles Purgatorium für den Künstler. Am Ende bringt Lidia es auf den Punkt: Giovanni ist wahrscheinlich nicht besonders begabt; sein Talent steht der verborgenen Begabung Valentinas um vieles nach. Er scheint von sich selbst abgekoppelt; vielleicht ist seine ganze Substanz in sein Schaffen eingeflossen? Er sagt selbst: „Ich habe keine Inspiration mehr, nur noch Erinnerungen“.(...)" weiter lesen

""Zwei in seelischer Leere erstarrte Menschen erkennen die Vergeblichkeit ihrer Ehe und alles Irdischen. Ein trüber Morgen sieht sie in hilfesuchender Umklammerung, auf der Flucht vor dem Nichts. Antonionis brillant inszenierter Film analysiert auf höchstem künstlerischem Niveau eine der Krankheitserscheinungen unserer Zeit: die Vereinzelung des Menschen, seine Unfähigkeit zur Kommunikation. Einer der einflußreichsten Filme des europäischen Nachkriegskinos, der - nicht zuletzt wegen seiner hervorragenden Darsteller - auch heute noch zu faszinieren vermag." (Lexikon des internationalen Films)."Quelle

Eine überwältigende Finalszene mit dem Brief:



Stealing Klimt

"Stealing Klimt". Dieser Dokumentarfilm aus dem Jahre 2006 beeindruckte mich vorgestern auf eine unerwartete Weise. Es wird nicht nur die Enteignungsgeschichte der Klimt-Bilder der jüdischen Familie Bloch-Bauer und ihr langwieriger Kampf um die Rückkehr erzählt, sondern es wird auch der "Anschluss" Österreichs 38, Demütigungen an den Juden, die die Österreicher aggressiv durchführten, ohne von den Nazis dazu verpflichtet zu sein, gezeigt. Es wird die Situation der Juden belichtet, ihr Beitrag zur Blüte Wiens in Österreich-Ungarn und wie sie sich nach der Machtübernahme, Plünderung und Entrechtung in Ausweglosigkeit selbst umgebracht hatten, bevor sie umgebracht wurden. Obwohl Österreicher nur 8 Prozent der Bevölkerung des Reiches ausmachten, waren sie überproportional viele in der SS und in der Bewachung der KZ's. Vieles weiteres und mehr erfährt man aus diesem Film anhand der Dokumentarbeweise. Man kann es sich nicht ohne innere Wut ansehen. Ein beeindruckender Film über die Kunst, das Leiden, den Tod und die Hoffnung. 

Interessante Film-Kritik: Stealing Klimt
wikipedia: Maria Altmann (Nichte von Adele Bloch-Bauer)
Weiterführende Informationen über Restitutionsfälle in Österreich finden sich unter:
Informationen zu Restitutionsangelegenheiten

standard.at: Restitution in Österreich
Kunst-Restitution in Österreich (Stand 2006)
Kunst-Datenbank des Nationalfonds der Republik Österreich für Opfer des Nationalsozialismus (Informationen zu Kunst- und Kulturgegenständen, die sich heute in Museen und Sammlungen der Republik Österreich oder der Stadt Wien befinden und bei denen nach aktuellem Stand der Provenienzforschung die Möglichkeit besteht, dass sie in der NS-Zeit entzogen wurden)
Außerdem gab es einen interessanten Beitrag bei Lizas Welt über den „Anschluss“ Österreichs: Austrias Anschlussbilanz
Einiges über Klimt erfährt man auch aus dem früheren Beitrag hier im Blog: Klimt und die Frauen...

15. Juli 2008

Patricia Kaas "Les hommes qui passent"

...


"The narrator, probably a prostitute, explains to her mother, how behave men, with whom she dates, and what they bring her at the material level. However, she expresses her desire to know love and keep a man only for her during a long period of time." Quelle

13. Juli 2008

PianistenProfile

Ein interessantes Buch ist im April dieses Jahres erschienen:
"PianistenProfile: 600 Interpreten: ihre Biografie, ihr Stil, ihre Aufnahmen" (von Ingo Harden und Gregor Willmes) (bei Amazon)

"Dieses Handbuch ist das umfassendste und aktuellste Werk über die Pianisten der Welt. Es porträtiert über 600 Pianisten des 20. und 21. Jahrhunderts mit den wichtigsten biografischen Informationen und Diskografien und beschreibt deren pianistisches Profil, also die jeweils individuelle Kunst ihres Klavierspiels, in anschaulicher und allgemeinverständlicher Weise.
Die Autoren verstehen es, mit der profunden und unbestechlichen Kenntnis der Musik- und CD-Kritiker jedem Künstler gerecht zu werden, indem sie seine pianistische Philosophie herausarbeiten. Sie schärfen damit den Blick für die Vielfalt pianistischer Interpretationsweisen und regen den Leser zu eigenen Urteilen an. (...)" weiter lesen

Morgens und abends zu lesen

B. Brecht (1898-1956)
"Und fragst du mich, was mit der Liebe sei?
So sag ich dir: Ich kann mich nicht erinnern."

Morgens und abends zu lesen


Der, den ich liebe
Hat mir gesagt
Daß er mich braucht.

Darum gebe ich auf mich acht
Sehe auf meinen Weg und
Fürchte von jedem Regentropfen
Daß er mich erschlagen könnte.


„Wenn man an Bertolt Brecht denkt, wird man selbstverständlich sofort an den marxistischen Stückeschreiber verwiesen, der das Theater des 20. Jahrhunderts revolutionierte, und an den Propagandisten, dem nur der politische Kampf etwas bedeutete. Und doch merkt man bei genauerem Hinsehen, daß der Lyriker Brecht neben dem Autor der Lehrstücke durchaus bestehen kann.
Die Liebe oder, wenn wir diesen Bereich weiter fassen, die menschlichen Beziehungen, nehmen in Brechts Werk einen bedeutenderen Platz ein, als man gewöhnlich glaubt. Jedoch war Brechts Schaffen auf diesem Gebiet unregelmäßig. In seiner ersten Schaffensperiode entstanden die meisten und auch bekanntesten Liebesgedichte. In der zweiten Periode scheint sich Brecht allmählich von diesem Thema abzuwenden, so daß in den 40er Jahren kein einziges Liebesgedicht entstand. Erst 1950 wird das Liebesgedicht in seiner wahren Funktion und seinem Wert bei Bertolt Brecht wiederhergestellt.[…]“ weiterlesen


Erinnerungen an Marie A.

1
An jenem Tag im blauen Mond September
Still unter einem jungen Pflaumenbaum
Da hielt ich sie, die stille bleiche Liebe
In meinem Arm wie einen holden Traum.
Und über uns im schönen Sommerhimmel
War eine Wolke, die ich lange sah
Sie war sehr weiß und ungeheuer oben
Und als ich aufsah, war sie nimmer da.

2
Seit jenem Tag sind viele, viele Monde
Geschwommen still hinunter und vorbei
Die Pflaumenbäume sind wohl abgehauen
Und fragst du mich, was mit der Liebe sei?
So sag ich dir: Ich kann mich nicht erinnern.
Und doch, gewiß, ich weiß schon, was du meinst
Doch ihr Gesicht, das weiß ich wirklich nimmer
Ich weiß nur mehr: Ich küsste es dereinst.

3
Und auch den Kuss, ich hätt' ihn längst vergessen
Wenn nicht die Wolke da gewesen wär
Die weiß ich noch und werd ich immer wissen
Sie war sehr weiß und kam von oben her.
Die Pflaumenbäume blühn vielleicht noch immer
Und jene Frau hat jetzt vielleicht das siebte Kind
Doch jene Wolke blühte nur Minuten
Und als ich aufsah, schwand sie schon im Wind.


Ich habe dich nie je so geliebt

Ich habe dich nie je so geliebt, ma soeur
Als wie ich fortging von dir in jenem Abendrot.
Der Wald schluckte mich, der blaue Wald, ma soeur
Über dem immer schon die bleichen Gestirne im Westen standen.

Ich lachte kein klein wenig, gar nicht, ma soeur
Der ich spielend dunklem Schicksal entgegenging –
Während schon die Gesichter hinter mir
Langsam im Abend des blauen Walds verblaßten.

Alles war schön an diesem einzigen Abend, ma soeur
Nachher nie wieder und nie zuvor –
Freilich: mir blieben nur mehr die großen Vögel
Die abends im dunklen Himmel Hunger haben.


Entdeckung an einer jungen Frau

Des Morgens nüchterner Abschied, eine Frau
Kühl zwischen Tür und Angel, kühl besehn
Da sah ich: eine Strähn in ihrem Haar war grau
Ich konnt mich nicht entschließen mehr zu gehn

Stumm nahm ich ihre Brust, und als sie fragte
Warum ich, Nachtgast, nach Verlauf der Nacht
Nicht gehen wolle, denn so war's gedacht
Sah ich sie unumwunden an und sagte

Ist's nur noch eine Nacht, will ich noch bleiben
Doch nütze deine Zeit, das ist das Schlimme
Daß du so zwischen Tür und Angel stehst

Und laß uns die Gespräche rascher treiben
Denn wir vergaßen ganz, daß du vergehst
Und es verschlug Begierde mir die Stimme

Liebes- und erotische Gedichte Brechts kann man hier und hier (4 Seiten) lesen

Seine Liebeslyrik ist auch bei Amazon erhältlich.

Bereits früher wurden Brecht - Gedichte hier im Blog zitiert.

Our Time is Up

Ein wirklich großartiger Kurzfilm von Rob Pearlstein, der 2006 für Oscar nominiert wurde.

Als der Therapeut Dr. Leonard Stern erfährt, dass er nur 6 Wochen zu leben hat, entscheidet er sich zu einer brutalen Behandlungsmethode bei seinen Patienten: Die Wahrheit.


Offizielle Seite des Films

[Video gesehen bei Zirkumflex]

8. Juli 2008

Slogan

Heute Nacht, am 09. Juli um 00:15, strahlt arte ein interessantes Dokument der Filmgeschichte aus - den Spielfilm "Slogan" (Film-Trailer) von Pierre Grimblat. Das einst erotischste Traumpaar Frankreichs Serge Gainsbourg und Jane Birkin lernten sich 1968 bei den Dreharbeiten zu diesem Film kennen und lieben. Der Titelsong - La Chanson de "Slogan" (anhören), der auch im Film-Trailer zu hören ist, war das erste Lied des Paares, erst später kam ihr berühmtes "Je t'aime moi non plus" (Musikvideo).

"Pierre Fabergé, erfolgreicher Werbefilmer, reist nach Venedig, um dort einen Preis entgegenzunehmen. Er verliebt sich in Evelyne, eine junge Engländerin, die er auf dem Markusplatz kennenlernt und beginnt mit ihr eine leidenschaftliche Affäre. Pierre ist verheiratet, doch die beiden können nicht voneinander lassen. Da er eine Scheidung ablehnt, beginnt ein verzwicktes Doppelleben. Bald allerdings möchte Evelyne mehr..."weiter lesen

Filmausschnitte

3. Juli 2008

In der Geliebten Blicke

Bild: W.L

Friedrich Rückert (1788-1866)

Die Liebe sprach: in der Geliebten Blicke
Mußt du den Himmel suchen, nicht die Erde,
Daß sich die bessre Kraft daran erquicke
Und dir das Sternbild nicht zum Irrlicht werde.

Die Liebe sprach: in der Geliebten Auge
Mußt du das Licht dir suchen, nicht das Feuer,
Daß dir's zur Lamp' in dunkler Klause tauge,
Nicht dir verzehre deines Lebens Scheuer.

Die Liebe sprach: in der Geliebten Wonne
Mußt du die Flügel suchen, nicht die Fesseln,
Daß sie dich aufwärts tragen zu der Sonne,
Nicht niederziehn zu Rosen und zu Nesseln.

Franz Kafka - 125 Jahre

Heute wäre einer der bedeutendsten Schriftsteller des 20. Jahrhunderts  Franz Kafka 125 Jahre alt geworden.
Im Blog-Beitrag von Chajm Guski sind mehrere interessante Texte zu diesem Anlass verlinkt.

Kafka schrieb in einem seiner Briefe:"Wenn das Buch, das wir lesen, uns nicht mit einem Faustschlag auf den Schädel weckt, wozu lesen wir dann das Buch? (...) Ein Buch muss die Axt sein für das gefrorene Meer in uns"Quelle
Hinzuzufügen wären noch das FAZ.NET-Spezial: Kafkas Sätze und ein Auszug aus dem heutigen n-tv-Artikel „Surreal, aber nicht weltfremd. Kafka wurde vor 125 geboren“:
Sprache als Lebensstoff
Welches Leben sein eigentliches ist, steht für ihn fest, aber seinen Eltern hätte er es nie begreiflich machen können: "Er hat das Bewusstsein gehabt, dass er in der Sprache lebt. Die Sprache war sozusagen sein Sauerstoff, sein Lebensstoff", sagt sein Biograf Reiner Stach. Schreiben war seine Berufung, fast eine Sucht.

Briefe schreibend liebte Kafka Felice und litt zugleich unter der Angst, als Ehemann und Vater, in einer bürgerlichen Existenz, nicht mehr schreiben zu können. Ein Schriftsteller "darf sich eigentlich, wenn er dem Irrsinn entgehen will, niemals vom Schreibtisch entfernen, mit den Zähnen muss er sich festhalten", schrieb Kafka.(…)“weiter lesen

Erwähnenswert ist auch die Antwort Reich-Ranickis in seiner FAZ-Kolumne:
Die Schriftstellerin Sibylle Lewitscharoff äußerte einmal, man müsse unbedingt Kafka gelesen haben. Warum ist Kafka so wichtig? Evelyn Plüm

Reich-Ranicki: Darüber sind viele, auch ausgezeichnete Bücher geschrieben worden. Hier eine knappe Antwort, die auf seine zentrale Problematik verweisen soll.
In seinen Romanen (vor allem im „Prozeß“) und Erzählungen war Kafka seiner Epoche vorausgeeilt - wie kein anderer seiner Zeitgenossen. Erst Jahrzehnte nach seinem Tod (er starb im Jahre 1924), als sich die Rolle der Intellektuellen in der Gesellschaft weitgehend geändert hatte, vermochte man zu erkennen, daß die zunächst bloß auf eine spezifische Prager Konstellation zu beziehenden Geschichten vom Schicksal der Ausgestoßenen und Angeklagten klassische Parabeln der Heimatlosigkeit und der Entfremdung sind. Die von Kafka immer wieder dargestellte Tragödie der Juden - das Wort „Jude“ kommt übrigens in seinen Romanen nicht vor - wurde von späteren Lesern als Extrembeispiel der menschlichen Existenz verstanden.
Kafka gilt als der neben Thomas Mann bedeutendste deutsche Schriftsteller des 20. Jahrhunderts. Sein Einfluß auf die Weltliteratur ist enorm.“Quelle
Über sein Leben und Schaffen, auch seine Liebesbeziehungen kann man hier nachlesen.
Seine Werke sind
hier und hier zu finden.
Seine Briefe und Tagebuch-Eintragungen sind
hier.