A. Achmatova (1889-1966)
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Echte Zärtlichkeit ist unverwechselbar
Und sie ist leise. Vergeblich
Umhüllst du mir sorgsam
Schulter und Brust mit Pelzen,
Vergeblich sprichst du gefällige Worte
Von der ersten Liebe.
Wie kenne ich diese beharrlichen,
unersättlichen Blicke von dir.
Dezember 1913
Carskoe Selo
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Wir werden nicht aus einem Glase trinken,
kein Wasser und auch keinen süssen Wein.
Nie wird im Kuss uns früh die Welt versinken,
ins Fenster schaun wir nicht beim Abendschein.
Ich atme Mondlicht, und du atmest Sonne,
doch leben wir aus einer Liebeswonne.
Die Freundin, immer fröhlich, ist bei dir;
du zärtlich-treu, bist nahe meinem Herzen.
Doch deiner grauen Augen Angst ist mir
verständlich. Du bist schuld an meinen Schmerzen.
Uns kurz zu sehen ist uns nicht bestimmt,
damit uns nichts die Ruh', den Frieden nimmt.
In meinem Vers nur deine Stimme singt,
in deinem Vers ist meines Atems Wehen:
Ein Scheiterhaufen Angst nicht vorm Vergehen
und auch Vergessen bis zu ihm nicht dringt.
Und wenn du wüsstest, wie sie mich verlocken,
die Lippen, deine, rosenrot und trocken.
1913
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Zerknülle nicht den Brief, den ich dir schrieb,
Lies, lieber Freund, ihn bitte ganz zu Ende.
Die Unbekannte spielen macht mich müd
Auf deinem Weg als allzeit Fremde.
Nun schau nicht so, lass dieses böse Grinsen.
Bin deine Liebste, ich bin dein.
Doch eine Hirtin, eine Königin
Und Nonne gar will ich längst nicht mehr sein –
In diesem taubengrauen Alltagskleid,
Auf Absätzen, die längst schon schiefgelaufen …
Doch wenn du mich umarmst, brennt's alte Leid,
Dieselbe Angst in diesen großen Augen.
Zerknülle nicht den Brief, den ich dir schrieb,
Musst nicht um die verhohlne Lüge weinen,
Stopf in dein Bündel ihn, wo er ganz tief
Am Boden wird gut aufgehoben sein.
1912
Carskoe Selo