30. Dezember 2012

Ein Tag in...

Wie fühlt sich Rodins Eva an und was ging in Salvador Dali vor, als er seinen Traum erschuf, verursacht durch den Flug einer Biene um einen Granatapfel, eine Sekunde vor dem Aufwachen... Frankfurt Ende Dezember fühlt sich wie ein verschlafener Frühling an, der vergessen hatte, seinen Wecker auf Winterzeit umzustellen. Die Meteorologen sind gescheitert, das Wasser zum Jahresende einzufrieren, jeder Versuch ist zwecklos und wird ihnen kläglich nicht gelingen. 

Beeindruckendes Frankfurt

Er hat ein wenig Wärme aus Tel Aviv - ein streng zu verzollendes Gemütsgut illegal eingeführt - und sie hat sie in sich vom Spätherbst aufbewahrt. Vom Bahnhof gelangt man zu Fuß über die Brücke zum Museumsufer. Der Main ist hoch und seine braune Brühe ohne Fettflecken bedeckt bereits manch Treppenstufen. Auf einmal wächst vor Augen das Bankenviertel auf der Gegenseite empor; auch wenn es nie die New Yorker Skyline übertreffen würde, gibt es ein gutes Gefühl des Wohlstandes des ganzen Landes wieder, fernab der Provinz, welcher sie den Rücken kehrt. Was tun die Menschen? Wie Ameisen auf der Promenade hin und her eilend, nutzen sie die erste Frühlingsluft zum Ausgehen aus. Dezember. Ihr kurzes Kleid ist unter der Jacke verschwunden und die Stiefel beschreiten fröhlich und ein wenig tanzend die Luft, den Stein, die Stadt, die noch so viele Geheimnisse birgt.

Das Städel Museum öffnete seine Türen für die Erkenntnisse der modernen Kunst wie auch schwarzer, sehnsüchtiger und völlig irrationaler Romantik.

Ein schöner Spaziergang durch die Epochen der Kunst erwartete zunächst in den wiedereröffneten Räumen der Sammlung "Kunst der Moderne". Die Liebhaber des Expressiven, Impressiven, Surrealen und völlig Futuristischen finden sich hier selbst in den beeindruckenden Werken wieder. Es ist sinnlos, all die Namen aufzuzählen, denn es sind die Künstler, ohne die man nicht leben kann.



Dabei stolperte sie unvorsichtig über Auguste Rodin. Seine Eva in Menschengröße baute sich hinter ihrem Rücken auf, ohne dass sie die Figur vorher bemerkte. Der Wächter schaute sie bösartig an, doch die Skulptur blieb stehen... Sie stellte sich vor, wie der große Künstler sein Modell zunächst ängstlich und zart berührte, Maße von jedem ihrem Körperteil mit den Händen neugierig und fordernd ertastete, wie lebendig sie unter seinen Fingern atmete, lebte, sich wendete, wenn seine Berührungen intensiver wurden... bis sie in Bronze den Rücken der Besucherin streifte...
"Voll des Staunens beschrieb Rilke später diese Skulptur: „Und die Eva, wie weit in die Arme hineingebogen, deren nach auswärts gewendete Hände alles abwehren möchten (auch den eigenen – sich verwandelnden Leib).“ Die Oberfläche der lebensgroßen Figur ist unruhig und gibt starke Lichtreflexe in den Raum hinein ab. Dies ist nicht nur dem unvollendeten Zustand der Arbeit geschuldet – die Schwangerschaft des Modells ließ keine Vollendung zu –, sondern auch dem ausdrücklichen Bestreben des Künstlers, das Licht in impressionistischer Weise über den Körper tanzen zu lassen." mehr
Halbdunkler Raum, abgerundet, voller schwarzer Spiegel, inmitten die Sitzbänke. Halbschatten - Halblicht. So gelangt man in die dunkle Begierde, in die Nacktheit der "Schwarzen Romantik".



"Vom 26. September 2012 bis 20. Januar 2013 zeigt das Städel Museum die große Sonderausstellung „Schwarze Romantik. Von Goya bis Max Ernst“. Erstmals widmet sich damit eine Ausstellung in Deutschland der dunklen Seite der Romantik und ihrer Fortführung im Symbolismus und Surrealismus. 
...
Mit einem sowohl geografisch als auch zeitlich übergreifenden Ansatz, der Bezüge zwischen verschiedenen romantischen Zentren darlegt und komplexe ikonografische Entwicklungen vor Augen führt, will die Ausstellung das Interesse für die düsteren Aspekte der Romantik wecken und damit zu einem erweiterten Verständnis dieser Bewegung anregen. Viele der präsentierten künstlerischen Entwicklungen und Positionen resultieren aus einem erschütterten Vertrauen in ein aufgeklärtes, fortschrittliches Denken, das sich rasch nach der – als neues Zeitalter gefeierten – Französischen Revolution zum Ende des 18. Jahrhunderts ausgebreitet hat. Blutiger Terror und Kriege brachten Leid und den Zerfall gesellschaftlicher Ordnungen in weiten Teilen Europas. So groß die anfängliche Begeisterung war, so groß war auch die anschließende Enttäuschung, als sich die düsteren Facetten der Aufklärung in all ihrer Härte offenbarten. Nun widmeten sich junge Literaten und Künstler verstärkt der Kehrseite der Vernunft. Das Schreckliche, das Wundersame und Groteske machten dem Schönen und Makellosen die Vorherrschaft streitig. Der Reiz der Beschäftigung mit Sagen und Märchen und die Faszination für das Mittelalter traten dem Ideal der Antike gegenüber. Auch die heimische Natur gewann verstärkt an Anziehungskraft und wurde zum beliebten Motiv der Künstler. Dem hellen Licht des Tages begegneten der Nebel und die dunkle, geheimnisvolle Nacht."
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Über das aggressiv erotische Bild Dalis "Traum, verursacht durch den Flug einer Biene um einen Granatapfel, eine Sekunde vor dem Aufwachen" kann man hier (unter Audioguide (Hörproben) kurz hören und hier sehen und lesen.

Von vielen Bildern inspiriert, blieb dieses besonders im Gedächtnis hängen:

Franz von Stuck "Die Sünde" (1893)

Wenn man den Tag bereits derart in die Kunst eingesogen angefangen hatte, war es wohl die logische Fortsetzung, dass die geworfene Münze zum Kinobesuch einlud. "Anna Karenina" von Joe Wright. Es war keine enttäuschende Filmvorstellung, jedoch völlig anders als gewohnt. Es war ein Stück Theater, das etwas gestellt, ein wenig künstlich auf der Kinoleinwand wirkte. 
Sie beschlich danach der Gedanke, dass nur die Russen wohl im Stande wären, dieses Buch wirklich so darstellen zu können, wie es der Authentizität der russischen Seele und ihrer grenzenlosen Leidenschaft entsprechen würde. Schön und melancholisch waren aber im Film russische Volkslieder, Natur, russische Wörter, Motive, ein Kuss im Wald und die Liebesszene.
 

Was das Buch angeht, kann man jedoch lieber auf die klassische Vorgängervariante mit Sophie Marceau als Anna verweisen. Die mitreißende Walzerszene ist hier zu sehen.

Was hat Lewin am Ende des Filmes verstanden? Dazu musste sie das Buch selbst nach vielen Jahren in die Hand nehmen und letzte Abschnitte lesen:

"-- А, ты не ушел? -- сказал вдруг голос Кити, шедшей тем же путем в гостиную. -- Что, ты ничем не расстроен? -- сказала она, внимательно вглядываясь при свете звезд в его лицо.
Но она все-таки не рассмотрела бы его лица, если б опять молния, скрывшая звезды, не осветила его. При свете молнии она рассмотрела все его лицо и, увидав, что он спокоен и радостен, улыбнулась ему. 
"Она понимает, -- думал он, -- она знает, о чем я думаю. Сказать ей или нет? Да, я скажу ей". Но в ту минуту, как он хотел начать говорить,она заговорила тоже.
-- Вот что, Костя! Сделай одолжение, -- сказала она, -- поди в угловую и посмотри, как Сергею Ивановичу все устроили. Мне неловко. Поставили ли новый умывальник? 
-- Хорошо, я пойду непременно, -- сказал Левин, вставая и целуя ее. 
"Нет, не надо говорить, -- подумал он, когда она прошла вперед его. -- Это тайна, для меня одного нужная, важная и невыразимая словами. 
Это новое чувство не изменило меня, не осчастливило, не просветило вдруг, как я мечтал, -- так же как и чувство к сыну. Никакого сюрприза тоже не было. А вера -- не вера -- я не знаю, что это такое, -- но чувство это так же незаметно вошло страданиями и твердо засело в душе. 
Так же буду сердиться на Ивана кучера, так же буду спорить, буду некстати высказывать свои мысли, так же будет стена между святая святых моей души и другими, даже женой моей, так же буду обвинять ее за свой страх и раскаиваться в этом, так же буду не понимать разумом, зачем я молюсь, и буду молиться, -- но жизнь моя теперь, вся моя жизнь, независимо от всего, что может случиться со мной, каждая минута ее -- не только не бессмысленна, как была прежде, но имеет несомненный смысл добра, который я властен вложить в нее!" Lew Tolstoj "Anna Karenina"


Bis bald, Frankfurt, du hast noch viele Geheimnisse, die es auf jeden Fall zu entdecken gilt. 

2. Dezember 2012

So fern, so nah

Keine Kälte, nur füllige Wolken am Himmel verraten den baldigen Schneefall. Sie freut sich darauf, die Spuren im Schnee unterscheiden zu lernen. Welches Tier und welcher Mensch es waren. Wozu, woher kamen sie und wohin flohen. Die Augen schließen, die Handflächen von Schneeflocken berühren lassen und ihre Wärme spüren. So nah...

Marketa Irglova & Glen Hansard "If you want me"



Danke an jemanden für das Lied...

12. November 2012

Aus Trotz und Zärtlichkeit

* * *
Heute fragte mich jemand: Warum bist du allein?
Nichts konnte ich ihm entgegnen und nicht mal "weil".
November badet mich im Regen kalt und blass,
Das Wort "Warum" entzieht sich seiner dunklen Pracht.
Das Haar des Herbstes trocknet sich zum Gold,
Sein Anblick ändert sich, wenn ich ihn furchtlos kost'.
 
12. November 2012



Heute ist es mir nach ...


... Thomas Brasch (19.02.1945 - 03.11.2001)

Lied

Für B.

Wolken gestern und Regen
Jetzt ist keiner mehr hier
Ich bin nicht dagegen
Singe und trinke mein Bier

Tränen heute und Lieder
Bäume verdunkeln den Mond
Ich komme immer wieder
Dorthin wo keiner mehr wohnt

Blätter morgen und Winde
Bist du immer noch hier
Ich besinge die Rinde
Der Bäume und warte bei dir.   



Wer wohnt wo

1
Und wen sie nicht gelebt haben
den sterben sie noch heute.


2
Unter den Märchen. Oder
über den Märchen. Zwischen 2 Orten
wohnen die Menschen. Beiderlei Sorten.
Ruf mich mit beiderlei Worten




Schlaflied für K.

Nacht oder Tag oder jetzt
Will ich bei dir liegen
Vom schlimmsten Frieden gehetzt
Zwischen zwei Kriegen

Ich oder wir oder du
Denken ohne Gedanken
Schließ deine Augen zu
Siehst du die Städte schwanken

In den Traum oder Tod oder Schlaf
Komm in den Steingarten
wo ich dich nie traf
will ich jetzt auf dich warten



Mehr Brasch ist hier.

Wunderbar geschrieben, einfach zerreißend:
Thomas Brasch war Haut.
"In der Haut, so sagt man, nistet die Seele des Menschen. Er hat seine Haut über diese Welt gespannt, und die Welt zerbarst. Und seine Haut zerriß. Was war das Besondere an diesem Mann? Er wirkte ja ungebärdig, und dabei war es eine zärtliche Ungebärdigkeit. Er wußte als hochentwickelter Künstler, daß Kunst das Gehärtete sein muß. Unter dem Gehärteten, unter dem Unerbittlichen des Kunsgesetzes lag aber seine Bittlichkeit. Immer, wenn Sie genau lesen, ob in Stücken, in Prosa, vielleicht ganz besonders in der Lyrik, werden Sie finden eine gebärde des Flehentlichen. Sabre nennt man in Israel die dort Geborenen. Sabre ist die Kakteenfrucht: außen stachlig und innen süß und saftig. Thomas Brasch, nicht dort geboren, war gleichwohl eine Sabre. Er hat uns eine Welt vorgeführt, vor der er die Menschen warnt. Gleichwohl hat er gesagt, sie möge nicht so sein. Das war der Impetus des Werks von Thomas Brasch. Deswegen konnte er Freund sein, deswegen konnte er die Menschen streicheln, übrigens nicht nur mit dem Wort, sondern veritabel streicheln. Eine Umarmung mit Thomas Brasch war immer gleichzeitig die Umarmung mit einem großen Stück Traurigkeit. Diese seltsame Wechselwirkung zwischen Traurigkeit, Trotz und Zärtlichkeit war, was für mich den Menschen Thomas Brasch ausmachte und was sein Werk prägte. Deswegen glaube ich, daß es lange wirken wird. Zärtlichkeit war gleichzeitig das Ungebärdige, das Nicht-akzeptieren-Wollen eines jeglichen Kodex. Ich habe mir einen Satz aufgeschrieben, mit dem er seine wunderschöne Majakowski-Auswahl im Suhrkamp Verlag vorstellte, wo er sagt, woran liegt es denn, daß wir diese Welt, diese Gesellschaft, gleich welche Gesellschaft, auch die, die Majakowski bauen wollte, nicht ertragen? Das liegt daran, daß wir, gelähmt von den vergangenen stillen Zeiten und dem kommenden endlosen Alptraum, die Arme nicht mehr hochbekommen, das einzig nötige zu tun, jede staatliche Ordnung mit all ihren Wurzeln aus unserem Leben, unserem Beruf und aus unserem Herzen zu reißen. Dieses ist zugleich die Definition eines Einsamen. Das ist die andere Seite des Thomas Brasch. Er hatte gewiß nicht allzu viele, aber ein paar sehr gute Freunde. Vielleicht ist es unangebracht, wenn ich einen Freund nenne, und das ist Kathi Thalbach. Gleichwohl war er, und wollte es auch sein, einsam bis ganz zum Schluß. Er verlor sich in dieser Welt. Vielleicht darf man erinnern an den Kleistschen Satz: „Die Wahrheit ist, daß mir auf Erden nicht zu helfen war.“ Mit dieser Familie der Literatur, ob Büchner, ob Bertolt Brecht, aber bis hin zum anderen Großen, dem dritten großen B. Gottfried Benn, hat er diesen Zirkelschlag der Einsamkeit auch gebraucht zur Selbstdefinition seines Ich, und damit übrigens, das kann eben nur Kunst leisten, und das hat seine Kunst geleistet, daß wir uns damit auch definieren. Das ist die Leistung der Kunst, uns Augen neu einzusetzen. Dafür danke ich Thomas Brasch. Ich habe ihn geliebt, den Künstler, den Menschen. Adieu, Thomas Brasch."

Fritz J. Raddatz, Auszug aus der Grabrede auf dem Dorotheenstädtischen Friedhof
Suhrkamp Verlag, Klappentext, 2002
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Bild: Thomas Brasch, November 1993.
By Marion Brasch (= user Freitach) (Own work) [CC-BY-SA-2.0-de], via Wikimedia Commons

4. November 2012

Finde mich

Finde mich

Finde mich unter den Gesichtern.
Ich trage keine Maske 
Und habe wieder Mantel an.
Der Herbst - Verstoßener von allen,
Er kam und deckte meine Schulter ab.

Ich schreibe, finde mich, lass mich nicht sterben
Unter der Kälte jenen, die mich grüßt.
Nimm mich hier weg, nimm mich den Andren.
Nimm mich in deine Arme, bitte, Herbst.

Ruf mich, sag mir doch meinen Namen,
Bleibe nicht stumm, ich bitte, Herbst.
Nimm mich zu dir, nimm mich in deine Arme,
Lass Blumen dich beschmücken,
Fast langsam, leise um dein Herz.

04. November 2012


Ich bin aufgetreten, eben, zwei Male. Bin aus mir rausgekommen, rausgeflogen war die Seele, verlor völlig die Angst vor dem Publikum und habe ein Meer mit meinen Worten erschaffen. Nein, keines zum Ertrinken, zum Schwimmen, zum  Leben, zum Schwimmen zur Heimat, dahin, wo man auf dich warten könnte. Und ich kann doch gar nicht schwimmen, aber an jenen Abenden flog ich über dem Meer. Wie ein Vogel, einer seltenen, ausgestorbenen Art. Ich habe wunderbare Menschen kennengelernt. Wieder zu Hause angekommen, was erwartete mich da... Ein Blatt Papier und mein Herz. Und das Herz durfte klingen, durfte leben.

Die erste Literaturkritik ist erschienen. Noch weiß ich nicht, ob ich mich darüber freuen kann... Sie ist gewiss schön... Ja, das ist sie... Aber... Lest doch selbst, was soll ich noch sagen.

Ein Bild aus der Lesung, Oktober 2012:


Musik. Sie dringt in mein Inneres, irgendwohin, wo man aufhört zu sein. Heute ist sie von Piazzolla, den ich lange gemieden hatte. Es ist aber wunderschöne, alles mitnehmende Musik. Hört sie euch an, hört.

27. Oktober 2012

Denn Nächte

... sind nicht zum Schlafen da. Ich trage ein Kleid um meine Seele. Eines der Nacht. Und trinke Sterne.

Enigma "Twelve after midnight"



Friederike Mayröcker  

Gesang zwischen mir und dir

siehst du den Abendstern?
ich sehe
hörst du den Wind?
ich höre
fühlst du die Ewigkeit?
ich fühle
und dein Name?
nenne mich Nacht
woher kommst du?
aus deiner Einsamkeit
wohin gehst du?
in deine Innigkeit
gib mir die Hand

27.07.1948 [Aus: Friederike Mayröcker "Liebesgedichte"]

10. Oktober 2012

Wie heißt der Himmel

* * *
Mein Name ist wie Straßenkind
Unter der zischenden Laterne.
Auf ewig flieht es von sich selbst,
Wird satt gewärmt von Dirnen.
Mit einem löchrigen Umhang,
Unter des Fremden Decke,
Verstecken sie es nachts und scheu,
Wenn Freier nackte betteln. 

Wie heißt der Himmel,
Der mich träumt.
Wie riecht die Erde, 
Die ich schlucke.
Gefallen auf der Flucht
In Schlucht, allein
Die Ferne langsam blute.

Wenn Ohr mein 
Schritte hört und weint.
Wo lebt der Gtt,
Der nicht mehr feilscht,
Wenn er mich ehrt,
Ruiniert und preist.

Als ich den Mund von dir erfand,
Dein Kuss in mir verblieb, ich starb.
Erstarrt ist meine Seele, fort.
Das Bett wurde mir zum Schafott.

Ann

10. Oktober 2012



Ist es gut, dass es mir wieder nach Bulat Okudzhava ist?.. Nach seiner Weisheit und Herzlichkeit. Was macht einen Dichter aus? Seine Ehrlichkeit allein. Sie fand ich bei ihm.

Булат Окуджава


* * *

У поэта соперников нету
ни на улице и ни в судьбе.
И когда он кричит всему свету,
это он не о вас – о себе.

Руки тонкие к небу возносит,

жизнь и силы по капле губя.
Догорает, прощения просит:
это он не за вас – за себя.

Но когда достигает предела

и душа отлетает во тьму…
Поле пройдено. Сделано дело.
Вам решать: для чего и кому.

То ли мед, то ли горькая чаша,
то ли адский огонь, то ли храм…
Все, что было его, – нынче ваше.
Все для вас. Посвящается вам.




Bulat Okudzhava

übersetzt von Eric Boerner


* * *

Weder im Schicksal, noch auf der Straße
hat ein Dichter Konkurrenz.
Es gilt nie euch, wenn er laut rasend
die Welt anbrüllt, – es gilt ihm selbst.

Die Arme, die dünnen, hebt er zum Himmel;

das Leben, die Kraft allmählich verfällt.
Doch wenn er verbrennend um Gnade wimmert,
dann gilt das nicht euch, nur für ihn selbst.

Erreicht er dann die letzte Grenze,

die Seele in das Dunkel rast …
Das Feld ist durchschritten, die Sache beendet.
Ihr müsst nun entscheiden: für wen und für was.

War's Himmelslicht, war's Höllenfeuer,

war's Honig, war's ein Kelch voll Leid …
Alles, was sein war, – das ist nun euer.
Alles für euch. Euch ist's geweiht.


[Quelle]


2. Oktober 2012

Die Welt ist mein

Was haben Benjamin von Stuckrad-Barre und Henryk M. Broder gemeinsam?

Hm... Mhh.. Antworten Sie, ohne lang' zu überlegen.
Sie sind im Kino zu sehen! Wie, fragt der Neugierige? Da ich mir die meiste Zeit meiner Woche kein Fernsehen anschaue, bleibt wohl nur der Gang in das Kinotheater auch übrig, um wenigstens da in den Genuss des Verbotenen zu kommen. Für paar Momente nur den Blick wagen. Diesmal auf eine grandiose Reklame. Als ich heute folgende Videos sah...


Auflösung: Axel Springer Verlag hat mit einer neuen Kampagne Bilder, Plakate und Emotionen kreiert, die dem Leser, Hörer, Zuschauer, im Ergebnis  - DEM Menschen unvergesslich bleiben werden. Die Welt ist mein.



„Die Welt gehört denen, die neu denken.“
„Die Welt gehört denen, die lieber zu weit gehen als zurück.“ 
„Die Welt gehört denen, die schlau sind und nicht auf klug machen."
„Die Welt gehört denen, die ausbrechen, statt einzuknicken.“
„Die Welt gehört denen,  die nicht lang fackeln, sondern für was brennen."

Ich will, nein, ich muss ins Kino. Nur für diese zwei Herrschaften. Danach kann auch "Anna Karenina" und "The deep blue sea" kommen. Nichts wird Broder überstrahlen. Im Großformat.
 
Die Neugierige. 

28. September 2012

Was ist Freiheit


Um zwei Uhr siebzehn nachts essen gehen oder sich einen arg mystischen Film vor dem Einschlafen anschauen, obwohl man weiß, dass jeder Schatten in der Wohnung danach zum Mörder wird. Morgens den Wecker ausschalten und nicht zur Arbeit gehen. Ein luftiges Kleid anhaben und an einem windigen Durchzug einer Straße barfuß mit geschlossenen Augen stehen. Nackt sein. Lächerlich erscheinen. Frieren. Ich sein dürfen. Keine Angst haben, zu lachen. Das Glück nicht spielen müssen. Dumm sein. Wahrheit sagen dürfen. Wahrheit verstecken können. Nicht lügen müssen. Geliebt sein. Treppenschritte zählen oder etliche Bäume beim Zugfahren. Nachts einkaufen gehen. Ausschreien können. Denjenigen küssen, den man will. Denjenigen nicht küssen, den man will. Einsam sein. Von einem Fremden berührt werden. Da. Und da. Unvernünftig  sein. Sich nichts verbieten lassen. F.. you - sagen dürfen. F... me - sagen können. Traurig sein. Illusionen schaffen und sie danach zerbrechen. Verdammt unvernünftig sein. Sehnsucht scharlachrot färben. Demjenigen, den man liebt, es auch sagen können. Gehört werden. Empfindungen nicht definieren müssen. Gefühle fühlen können. Sie unterdrücken. Sich selbst vergessen. Verletzbarkeit zeigen. Genug Geld für Wohnung und Bücher haben. Einem Bruder sagen können, dass er einer wäre und ich ihn all die Jahre vermisst hätte. Jüdin sein. Keine Angst haben, dümmer zu sein, als andere. Auch klüger. Sex. Keine Angst haben, eigene Meinung zu äußern. Nicht allein sein. Allein sein. An niemanden denken. Träumen. Von jemandem träumen. Weinen dürfen. Nach New York wollen. Außerseits sein. Zukunft haben. Leidenschaftlich sein dürfen. In den USA leben. Ostsee riechen. Mit jemandem schlafen, den ich will. Neben ihm aufwachen und verschwinden. Um neben ihm bloß zu sterben. Seine Handfläche küssen. Sein Geschlecht spüren. Schlafenden Ihn anschauen. Glück. Heimat haben. Unglücklich sein. Meinen Vornamen von Lippen eines Anderen lesen können. Aufwachen. Riechen. Kindisch sein. Schreiben. Fühlen. Denken. Vermissen. Ersticken. Nein. Ja sagen können. Malen. Aufatmen. Begehren. Frühling statt Herbstes umarmen. Seine Zungen spüren. Lieben. 

Das ist Freiheit.

27. September 2012

[Bild: Ann, September 2012] 

Goldfrapp "Lovely head"



Bereits früher  zitierte ich Gedanken Hannah Arendts zur Liebe: Teil 1 und Teil 2. Neulich fand ich einige von ihnen wieder, diesmal ist einer der Ausschnitte ungekürzt:
"Liebe ist ein Ereignis, aus dem eine Geschichte werden kann oder ein Geschick.

Die Ehe als Institution der Gesellschaft zerreibt dies Ereignis, wie alle Institutionen die Ereignisse aufzehren, auf denen die gegründet waren. Institutionen, die sich auf Ereignisse gründen, halten der Zeit so lange Stand, als die Ereignisse nicht völlig aufgezehrt sind. Vor solchem Verzehrt-werden sind nur Institutionen sicher, die auf Gesetzen basieren. Solange die Ehe, immer zweideutig in dieser Hinsicht, als unscheidbar galt, war sie doch wesentlich auf dem Gesetz, nicht auf dem Ereignis der Liebe gegründet und damit eine echte Institution.


Inzwischen ist die Ehe zur Institution der Liebe geworden, und als solche ist sie noch um ein weniges hinfälliger als die meisten Institutionen der Zeit. Die Liebe wiederum ist seit ihrer Institutionalisierung ganz und gar heimat- und schutzlos geworden.


Dagegen protestieren Männer wie Frauen, jeder auf seine Weise. Beide versuchen, die zunehmende Flüchtigkeit der Liebe, ihre zunehmende Substanzlosigkeit zu verhindern. Die Frauen, indem sie aus der Liebe, die ein Ereignis ist, ein Gefühl machen, was nicht nur die Liebe degradiert, weil ein Göttliches zu einem Menschlichen gemacht wird, sondern auch alle Gefühle degradiert, weil sie offenbar dem Feuer der Liebe, an dem sie gemessen werden, nicht standhalten.


Der Irrtum kommt daher, dass die Liebe sich im Herzen des Menschen einnistet; das menschliche Herz ist die Wohnung, aber nicht die Heimat! der Liebe; das Missverständnis ist zu glauben, die Liebe entspringe dem Herzen und sei daher, mit einem weiteren Missverständnis, vom Herzen wie ein Gefühl hervorgebracht.
Diesem Gefühl geben die Frauen – die besten gerade, die die Institutionalisierung der Liebe durch Ehe mit Recht fürchten – sich hin, mit dem Erfolg, dass die Liebe im Gefühl und von ihm verzehrt wird, dass der dazugehörende Mann sich so schnell wie möglich retten muss, denn es geht ihm wirklich ans Leben!, und dass die Frauen, meist nur gelinde enttäuscht über die Flucht des für das Gefühl eher störenden Mannes, aus der »Liebe« ihren Lebensunterhalt machen. Inhalt eines Lebens kann die Liebe aber nur werden, wenn sie mindestens ein halb Dutzend Kinder hervorgebracht hat, zwecks täglicher Beschäftigung. Dann aber geht der ganze Humbug in der entstehenden ernsten Arbeit ohnehin zum Teufel. Die Frauen, deren Lebensinhalt die Liebe als solche ist, gehen meist an Tagträumerei oder, in selteneren Fällen, an Langeweile zugrunde.


Der Protest der Männer führt zu dem Umdenken der Liebe in Freundschaft. Zu diesen gehören wesentlich Kants Definition der Ehe, deren Gegenseitigkeit ein Kontrakt der Freundschaft verbürgt, dieser Kontrakt hat nur leider zum Inhalt, was keine Freundschaft schon rein physisch je zu leisten vermag. Auch Nietzsches Bemerkung, dass der größte Teil der Ehe der Unterhaltung gilt, weist in die Richtung: Sie schlägt vor, Kriterien der Freundschaft zu Kriterien der Ehe zu machen. Keine Freundschaft aber kann tragen, was eine Ehe zumutet. Wenn der Freundschaft zugemutet wird das tägliche Zusammen der Ehe oder der Liebe, geht sie zugrunde. – Die Ehe als reine, legal gesicherte Institution kann das Zusammen mühelos ertragen, nicht nur um der Kinder willen, sondern weil eine solches Tragen oder Ertragen gar nicht zum Problem wird. Sie wahrt ja immer die absolute Distanz der Partner, die in der Liebe durchbrannt wird und in der Freundschaft dauernd überbrückt.


Zur Abgrenzung: Gefühle habe ich; die Liebe hat mich. Freundschaft ist wesensmäßig abhängig von ihrer Dauer – eine zwei Wochen alte Freundschaft existiert nicht; die Liebe ist immer ein »coup de foudre«."
[Auszug aus: Hannah Arendt, Denktagebuch. 1950-1973, 2 Bde., hrsg. von Ursula Ludz und Ingeborg Nordmann, München-Zürich 2002.]

24. September 2012

Glückliche Vergeudung

Es ist ein nicht zu begreifendes Gefühl für sich selbst. Morgen geht in Druck eine Zeitschrift, für die man verantwortlich ist. Letzte Druckfahnen noch hin- und her gewälzt. Da wird der erste Artikel, den ich geschrieben habe, stehen. Ein Portrait. Wie komisch das ist. Ich stehe da, wie verzaubert, und fliege mit dem Luftballon am Himmel, wenn ich daran denke. Heute bis spät am Abend noch gewirkt, erschöpft, aber wie glücklich. Um das Theater wird es gehen, um die Sinnessuche, Illusionen, Träume und Liebe, natürlich Selbstmord, Verzweiflung und wieder Gefühle. Theater groß geschrieben. Was kann es Schöneres geben? Wie kann man das Leben ohne dies vorstellen? Eine wahre Vergeudung.
Wer hätte gedacht, dass ich meine Arbeit derart lieben und ihr solche Oden widmen werde? Jeden Tag erwartet mich etwas, was ich letzte Woche noch gar nicht gekannt habe. Jede Sekunde kann etwas geschehen und ich denke, fühle, lebe. Ein Faszinosum.

Habe ich nicht etwas vergessen? Ein schönes Video.


Danke an jemanden dafür wieder.

Die Augen kurz schließen: Sterne, dunkeltiefblauer Himmel, es hängt eine Schaukel hinunter, nein, keine Leiter, eine Schaukel auf langen Seilen und mit einem hölzernen Brett dazwischen. Sich hinsetzen und schweben. Unglaubliche Weiten unter den Füssen kann man überfliegen und das Gefühl der Leichtigkeit wird geboren. Höhenangst überwinden, überfühlen. Über der ganzen Erde und Wäldern. Dann plötzlich ins Wasser springen? Dieselbe Leichtigkeit. Die Menschen haben mich nicht gut behandelt, nicht verstanden? Ja, aber umso mehr gebe ich mich dem Leben hin. Restlos. Kein einziger Luftzug soll nur mir allein verbleiben. Ich lache dem Leben entgegen. In Sehnsucht, vielleicht in Traurigkeit, aber lache. Das Leben ist alles, und wenn der Schmerz kam, so lehrte er mich bloß, dass ich ein Mensch bin, der fühlen kann. Solange ich fühlen kann, bin ich also noch nicht tot. Doch das Leben soll nicht nur Nachdenklichkeit, es soll Freude bringen können und das Glück, dass man irgendwo auf dich wartet, unabhängig davon, wann du ankommst. Das Wahre. Nicht der Tod. Die Sehnsucht. Warum habe ich so spät diese Erkenntnis gewonnen. 

Für diejenigen, die Russisch verstehen, wird das unglaubliche und ehrliche Gespräch mit einer jungen russischen Dichterin Vera Polozkova, die ich verehre, auch sehr interessant sein: Video

23. September 2012

Im Raum mit...

Es ist sehr schwer, gerade dieses Lied ins Deutsche so zu übersetzen, dass es immer noch melodisch klingt, aber ich habe es heute versucht. Ein  Lied, das ich schon seit Jahren liebe.


Nautilus Pompilius "Ich will mit dir sein"



Von der Liebe zu fliehen versucht,
Eine scharfe Rasierklinge nahm ich
Und richtete mich.
In dem Keller versteckt, schnitt ich
Lederne Gürtel auf,
Die eine schwache Brust zuschnür‘n.

Ich will mit dir sein,
Ich will mit dir sein,
Ich will so mit dir sein,
Ich will mit dir sein,
Und ich werde mit dir sein

Dein Name wurde anders unlängst,
Die Augen sind für immer verfärbt.
Der betrunkene Arzt sagte mir –
Du bist nicht mehr da,
Der Feuerwehrmann beschied mich –
Dein Haus ist niedergebrannt.

Aber ich will mit dir sein,
Ich will mit dir sein,
Ich will so mit dir sein,
Ich will mit dir sein,
Und ich werde mit dir sein.

Im Raum mit dem weißen Plafond,
Mit dem Recht auf Hoffnung.
Im Raum mit dem Blick aufs Licht
Mit dem Glauben an die Liebe.

Ich zerbrach das Glas,
Wie Schokolade in der Hand,
Ich schnitt diese Finger,
Die dich nicht berühren können.
Ich schaute in die Gesichter
Und konnte ihnen nicht verzeihen,
Dass sie dich nicht mehr haben
Und sie leben aufrecht.

Aber ich will mit dir sein,
Ich will mit dir sein,
Ich will so mit dir sein,
Ich will mit dir sein,
Und ich werde mit dir sein.

Im Raum mit dem weißen Plafond,
Mit dem Recht auf Hoffnung.
Im Raum mit dem Blick aufs Licht
Mit dem Glauben an die Liebe.

Как долго мы будем делить мир, идя по разные стороны и делая вид, что нас нет и ничего не произошло. Город, землю, воздух, легкие. Ты мне говоришь, меня нет, а сам читаешь меня. Я попросила тебя меня отпустить, но отнюдь... Ты не можешь. Прочитав меня о моей Маргарите, ты написал сам после этого о литературе. Мои любимые авторы тоже там у тебя живут. Я тебя читала и была тронута этим. Я также читала твой предыдущий текст, касающийся оппозиции в России, и была согласна с тобой, была рада, что ты опустился наконец-то из романтичности революции и почувствовал правильно реальностъ.
Как ты живешь, у тебя все хорошо? Я не знаю, что же мне с тобой делать, но мы так не можем продолжать
дальше. Уже прошел год, как ты уехал. Ты скоро начнешь третий семестр. Ф., я так больше не могу. Как долго ты будешь молчать, читая меня и мои строки, зная мое нутро и стихи. Наблюдая за мной. Зная мою душу и обманывая себя, что тебе все равно. Я общаюсь с тобой уже несколько месяцев через мои стихи и тексты. Я сейчас обнажаю себя, когда пишу об этом открыто и это может прочитать каждый. Если мы так хорошо можем писать, почему же у нас не получается говорить друг с другом.

Я нашла письмо моего дяди Бораха, который погиб в Сталинграде. Он написал это за день до его гибели. А чем мучимся мы... Мы имеем право жить, мы имеем право на все.

Мой дядя Файвель из Израиля написал:


"Я, мой сын и старший брат Берл, который также воевал, посетили Волгоград в 80-е годы прошлого столетия. Мы нашли место, где держал оборону батальон, в котором воевал Борах. Маленький клочок земли у самой Волги. Там в октябре 1942 года не было живого места – смесь металла и земли. Но они стояли насмерть и не пропустили врага. В один из перерывов, когда стало немного тише, он написал нам своё последнее письмо. Оно было написано 22.10.1942 года – за день до гибели.
«Здравствуйте дорогие родные мои. Пишу вам письмо с передовой, защищаю …(зачёркнуто цензурой слово Сталинград). Нашёл свободное время, когда гул орудий и самолётов немножко притих, и решил написать вам письмо. Первым долгом поздравляю с праздником 25 годовщины великого Октября. Год суровых испытаний, год великих битв против ненавистного врага человечества Гитлера.
 Дорогие родные мои. Четверть века прошло, когда мы вместе с вами кровью и потом жизнь добывали, и настанет тот день, когда этот адский гул прекратится. Через горе и грязь придём к победе, когда свалится в могилу последний фашист, и мы приедем в родные места. Снова заживём хорошей жизнью.
Яшка и Фимка, подведите итоги: что и чем помогли фронту для быстрейшего разгрома врага. Ваш сын Борис». "

Mehr Musik von Nautilus Pompilius ist
hier und hier zu hören.

16. September 2012

Bitte

Lange suchte sie nach Worten, die bösartig klingen würden, entwürdigend, erniedrigend, verletzend, vernichtend, um ihm das zu spüren zu geben, was er mit ihr lange Zeit getan hatte.. Je länger sie suchte, desto klarer wurde es ihr, dass es nicht ihre Sprache wäre. Desto eindringlicher leuchtete vor ihren Augen, wie fremd ihr nicht nur diese Sprache war, sondern auch der Mensch. Nur ein Fremder könnte sie doch so behandeln. Umso unmissverständlicher spürte sie, dass sie nicht bösartig sein kann, und zu ihm schon überhaupt nicht; unabhängig davon, wie viel Schmerz ihr geschenkt wurde. Auf was für eine sado-masochistische Art hat sie sich da eingelassen. Er und niemand Anderer hat sie zu einer wundervollen jungen Frau gemacht, obwohl er ihr das Gegenteil wünschte. Er wird sie nie vergessen können, ihren Einfluss auf ihn, er wird auch nie vergessen können, wie sie vor ihm weinte und er sie zart darauf küsste. Er wird jene Tage und jenen Sommer nie vergessen, ihren Geruch und ihre jede Bewegung. Gedichte von ihm und Anna.

Wenn du es liest, bitte, gib mir die Freiheit. Ich kann so nicht mehr. Aus Erinnerung an Liebe und uns zwei. Ich bitte dich.
Anna.

13. September 2012

Geschmack

Gestern war ein komischer Tag. Unter 500 Juristen verloren und doch sichtbar, ob nur der Länge der Beine in dem kleinen Dunkelblauen wegen. Das Rote des Weines an meinen Händen, wie Blut, unabsichtlich verschüttet von jemandem Nebenstehenden im wilden Tanzen. Die Menge teilte sich darauf, wie das Rote Meer, als ich durch sie ging und nach Toiletten suchte. Strenge, schöne, elegante, intelligente, von mir oft zu Unrecht verhasste Juristen waren da und sie berührten mich zufällig im Vorbeigehen. Hand, Schulter, Bein, Bauch. Ich habe mir vorgestellt, wie man von mir bei jedem Berühren den jenigen Teil entrissen hätte; wenn ich endlich am Ziel angekommen wäre, wäre nichts mehr von mir geblieben. Ob sie dachten, dass ich mich übergeben hätte. Ist es aber ab irgendeinem Augenblick im Leben nicht mehr gleichgültig, was man über dich denkt und wie dein rot beflecktes Jackett aussieht? Ich habe riskiert und vielleicht sogar in Kauf genommen, mir bei dem kalten Wetter den Abend lang draußen den Tod zu holen.

Den Geschmack des Lebens spüre ich heute in meinem Hals beim Schlucken. Bitter schmeckt es. Seltsamer Weise ist es irgendwann gleichgültig, ob man krank oder gesund ist. Man steht auf, die Augen wollen noch paar Sekunden aus der Dunkelheit nicht geöffnet werden. Dann reißt sie die Wirklichkeit auf und lässt nicht mal blinzeln, wie bei "Clockwork Orange". Ich sehe alles, mehr, als ich möchte. Schon immer war es gewesen. Die Anderen denken, dass wenn meine Lippen schweigen, ich Jeniges nicht verstehe und nicht weiß. Wie dumm von ihnen.

Was ich mir wünsche? Ich weiß es nicht mehr. Den Schlaf und nicht mehr aufwachen müssen. Es waren früher so viele Wünsche, so viele Träume und Erwartungen. Was ist davon geblieben? Warum ließ ich mir die Träume nehmen? Sie wurden vergewaltigt. So fein geschah es, mit solcher Lüge. Es ist das Wort, das am treffendsten beschreibt, was man mit mir getan hatte. Vergewaltigt. Ich will vergessen werden und ich will selbst vergessen. Orte, Namen, Leben.

Es gibt jedoch Musik. In regelmäßigen Abständen hinterlässt mir ein Unbekannter ein Musikstück. Immer in einem neuen Versteck.


XXYYXX "About You"


Malka Ingedashet "Under your Eyes" (Übersetzung)



Death Cab For Cutie "I Will Possess Your Heart"

6. September 2012

Nicht heute, gestern

Die einfühlsamste Kreativität überfällt einen dann, wenn das Fieber kurz nachlässt. Halsschmerzen? Nein, vom großen Leben. Die Schritte höre ich bereits. Lauter. Ich bin so gesund wie noch nie. Auf einmal lechzen die Gehirnzellen nach dem Frühling, nach dem Großlicht, keine Sterne, nur Kerzen, die der kleinste Prinz von einem der Planeten brachte. Immer dann, wenn eine erloschen ist. Ich bemitleide den Sommer, dass er weggehen müsste. Nicht meinetwegen, nur deinetwegen. Du wirst den Sommer nie vergessen und auch den heutigen Tag nicht. Der Sommer ging zu Ende? Nur in deiner Brust. In meiner blüht es feurig, orange und blutig. Fallen. Zum Herbst hinabspringen. Vom Höchsten. Sich fallen lassen. Sich entreißen lassen. Die Herbstblätter sind mein Kleid und meine Wäsche, sie schmücken meine Beine, das eine Blatt, weitere, die trockenen Spitzen piksen. Der Wind kam. Still.

Leichtigkeit

Die Hand, das Herz, die Brust.

Dein Schal, mein Hals, dein Puls.
Mein Wunsch verneint die Nähe
Dein Ohr hört meinen Schlag.
Du suchst nach meinen Händen,
Ich schreie mich heraus.
Du bindest an dich etwas,
Was dir entfliehen kann.
Das Telefon am Boden,
Die Suppe auf dem Stuhl.
Das ungemachte Bett.
Das Kleid hängt zum Ausziehen.
Es riecht nach Blumen früh.

06. September 2012


Kate ist ...

    4. September 2012

    Willkommen

    Willkommen, Schmerz,
    Ich habe dich vermisst.
    Wo hast du dich so lang verborgen.
    Wenn du, mein Schmerz, mich leben lässt
    Und Seele meine fremde Arme ernten.
    Ich bitte, flehe, Gtt, an den nicht glaub,
    Bitte lass jenen, der mir Leben stahl,
    Mir fern sein, auch wenn gleiche Stadt
    Unter den Füssen unsren brennen sollte.
    Ich flehe, wie ich ihn um Wort nur bat,
    Bitte bewahre mich vor dem Erbrechen -
    Ich kann nicht mehr erniedrigt sein.
    Schenke mir Freiheit, reiß das Seil.
    Erbarme dich. Ich klag, ich flehe, bete.

    04. September 2012

    31. August 2012

    Picasso

    Es ist ein komisches Gefühl: Seit einer Woche verspüre ich gar keine Lust, Gedichte zu schreiben.

    Den heutigen Abend durfte ich mit einer Philosophin verbringen, die das zarte Alter von fünf Jahren trägt. Sie hörte mir auf Russisch zu und antwortete auf Deutsch, mich wohl verstehend. Sie erzählte von Mischka und Maschka - ihrer Lieblingsanimation - und "varenje". Ich war in die Kindheit eingetaucht.

    Plötzlich musste ich an jemanden denken. Ich sah ihn im Traum. Wenn er lächelt, formen sich wunderschöne kleine Fältchen neben seinen Augen und ein graues Haar an der rechten Schläfe sehe ich gerade wieder in meinem Gedächtnis. Wenn er sich eine Pizza auswählt, ist es faszinierend ihn zu beobachten, wie philosophisch er wirkt. Wenn er mich ansieht, habe ich keine Lust, meine Augen schweifen zu lassen, und will ihn direkt ohne jegliche Angst anschauen. Als ob man in ein Meer eintaucht. Kurz vor dem Sonnenverschwinden. Zwar kennt man weder Tiefe noch Wärme des Wassers, aber man vertraut den Wellen, die dich umarmen und nicht mehr loslassen. So schaut er an. Noch nie in meinem Leben bin ich vorher in der Öffentlichkeit mit solcher Leidenschaft mitten auf der Straße in die Knie gegangen, um dem Erzählten das lebendigste Gefühl zu verleihen. Als der Wind mein Kleid fast zerrissen hatte, überkam es mich, von dem Turm in den Rhein springen zu wollen und von ihm vom Ertrinken gerettet zu werden. Auch wenn er gar kein Wort gesagt und mich nur angeschaut hätte. Wenn er meine Muttersprache spricht, lacht meine Seele. Seine dunklen Augen glühen und strahlen etwas völlig Unerklärliches, doch sehr Nahes aus. Sie erinnern mich an die Heimat. Heimat ist kein Ort, kein Heim, kein Baum, es ist das Gefühl. Es ist ein schönes Gefühl. Was ist das?

    Ein Lied dreht sich in meinem Kopf seit Tagen und ich kann mich davon nicht mehr loslösen, ein schönes (hier hören)...

    Heute Abend ist es mir auch nach diesem:


    16. August 2012

    Berlin liest Margarita

    Eine schöne Idee hat das internationale literaturfestival berlin, das vom 04. bis 16. September'12 stattfinden wird, geboren. Die Berliner (jeder) wurden aufgerufen, überall in der Stadt zum Auftakt des Festivals am 04. September um 17:00 ihre Stimme der Literatur zu verleihen und zu lesen. 

    Mein Herz schlug lauter und lauter, als ich sah, dass "Der Meister und Margarita" von Michail Bulgakow auf Deutsch (Schaperstr. 24 10719 Haus der Berliner Festspiele, Ulrich Schreiber), "Die Erniedrigten und Beleidigten" von F. M. Dostojewski auf Deutsch (Unter den Linden 10117 auf der Mitte der Straße, gegenüber der russischen Botschaft, Sigrid Weitemeyer), Gedichte von meinen Lieblingsdichtern Endre Ady, Attila Jozsef und Mihaly Babits auf Ungarisch (Potsdamerstr. 10783 Berlin, Adrienne Borros), Mascha Kalekos Gedichte (Bundesallee 77 12161 Buchhandlung Thaer, Erika Eller), "Das trunkene Schiff" von Arthur Rimbaud auf Deutsch (Bruchwitzerstr. 13 12247 eigene Haustür, Elisabeth Herrmann), "Wo kommen die Löcher im Käse her?" von Kurt Tucholsky (Bernstraße 17 12163 Berlin, Günther Rüdiger), Kurt Tucholsky: "Die Tagung" , auf Deutsch und Heinrich Heine: "König Harald Harfagar", esperanto  (Grunewaldstr. 3 10823 Berlin, Philipp Sonntag), und viele weitere auf Persisch, Russisch, Türkisch usw. rezitiert werden. 

    Der originellste Ort wird sogar prämiert. Ob Heine auf Esperanto oder Erniedrigte vor der russischen Botschaft auserkoren werden? Alle Teilnehmer erhalten jedenfalls Tageskarten für das Festival.

    Es gibt also noch Herzen, die für Lyrik und Literatur leidenschaftlich schlagen, wie meines. Mal schauen, ob es an diesem Tag um die Zeit kein Verkehrschaos geben wird, wenn jede Bahn mit den Gedichten überfüllt wird, die alle Fenstergläser der Großstadt sprengen lassen. 

    Den Vorgeschmack auf Meister und Margarita wiederhole ich nur zu gerne.
    "(...) Sie hatte widerliche Blumen von beängstigendem Gelb in der Hand. Weiß der Teufel, wie sie heißen, aber die sind die ersten, die man in Moskau bekommt. Diese Blumen hoben sich deutlich von ihrem schwarzen Frühjahrsmantel ab. Gelbe Blumen trug sie! Eine ungute Farbe. Sie bog in eine Gasse ein und drehte sich um. ...ich schwöre Ihnen, sie sah nur mich, und ihr Blick war irgendwie krankhaft. Mich beeindruckte nicht so sehr ihre Schönheit wie die ungewöhnliche Einsamkeit in ihren Augen, eine nie gesehene Einsamkeit! ....Es war qualvoll für mich, denn mir schien, ich müsse mit ihr reden, aber ich fürchtete, ich würde kein Wort herausbringen und sie würde weggehen und ich würde sie nie wieder sehen. Und stellen Sie sich vor, plötzlich sagte sie: „Gefallen Ihnen meine Blumen?“
    Ich erinnere mich genau, wie ihre Stimme klang, ziemlich tief, aber brüchig... Ich ging rasch zu ihr hinüber und antwortete: „Nein!“
    Sie sah mich verwundert an, und plötzlich, völlig unerwartet, wurde mir bewusst, dass ich gerade diese Frau schon mein Leben lang geliebt habe.
    Die Liebe sprang uns an, wie ein Mörder in einer dunklen Gasse sein Opfer anspringt, und traf uns beide. So schlägt ein Blitz ein, so stößt ein Finnenmesser zu! Sie pflegte übrigens später zu sagen, so sei es nicht gewesen, wir hätten einander schon seit langem geliebt, ohne uns zu kennen, ohne uns je gesehen zu haben. Sie lebte damals mit einem anderen Mann ... Und ich auch, damals... (...)"
    Michail Bulgakow
    „Der Meister und Margarita“ "[Quelle]
    Das Bild dazu wäre jenes...


    Eine Liste mit den Vortragenden und den Orten findet sich hier. Lesen werden auch Autoren, Schauspieler, Buchhändler, Lehrer und  mehr. Auch eine Liste mit den Gedenkorten verstorbener Autoren gibt es, die man auch als Lesungsort auswählen könnte; zu ihnen zählen Franz Kafka, Heinrich Mann, Mascha Kaleko, Bert Brecht, Else Lasker-Schüler, Heinrich Heine und weitere. Sich für das Lesen am 04. September eintragen kann jeder unter: Anmeldung
      
    P.S. Ich glaube, dass das erste Paar Augen, das einem entgegen schaut, wenn man die Seite des Festivals anklickt, dasjenige des wunderbaren Arno Lustiger ist, der in diesem Jahr leider gegangen ist...

    11. August 2012

    Loving Strangers

    Eine Krone aus Veilchen
    Und noch eine aus Sternen.
    Web sie mir aus den Wunden,
    Bind mich fest an den Wind.
    Gleit sie mir übers Haar,
    Liebster, Fremder, Begehrter.
    Zieh mir Gram aus wie Kleider
    Von dem Herzen und Flügeln.
    Küss die Schultern in Nächten,
    Nimm Geschlecht mein fragil.

    11. August 2012
     

    Wunderschöne Musik: Russian Red "Loving Strangers" 
    (aus dem Film "Eine Nacht in Rom" von Julio Medem)