28. September 2009

Tango auf dem Eis

Die Leidenschaft des russischen Eistanzpaares Maja Usova und Aleksandr Zhulin bei der Olympischen Gala in Lillehammer (Norwegen) im Jahre 1994.

Moment beim Lesen

Moment beim Lesen

"Manchmal, o glücklicher Augenblick, bist du in ein Buch so vertieft, dass du in ihm versinkst – du bist gar nicht mehr da. Herz und Lunge arbeiten, dein Körper verrichtet gleichmäßig seine innere Fabrikarbeit, – du fühlst ihn nicht. Du fühlst dich nicht. Nichts weißt du von der Welt um dich herum, du hörst nichts, du siehst nichts, du liest. Du bist im Banne eines Buches. (So möchte man gern gelesen werden.)

Doch plötzlich läßt die stählerne Bindung um eine Spur nach, das Tau, an dem du gehangen hast, senkt sich um eine Winzigkeit, die Kraft des Autors ist vielleicht ermattet, oder er hat seine Intensität verringert, weil er sie sich für eine andre Stelle aufsparen wollte, oder er hat einen schlechten Morgen gehabt ... plötzlich läßt es nach. Das ist, wie wenn man aus einem Traum aufsteigt. Rechts und links an den Buchseiten tauchen die Konturen des Zimmers auf, noch liest du weiter, aber nur mit dreiviertel Kraft, du fühlst dumpf, dass da außerhalb des Buches noch etwas andres ist: die Welt. Noch liest du. Aber schon schiebt das Zimmer seine unsichtbaren Kräfte an das Buch, an dieser Stelle ist das Werk wehrlos, es behauptet sich nicht mehr gegen die Außenwelt, ganz leise wirst du zerstreut, du liest nun nicht mehr mit beiden Augen ... da blickst du auf.

Guten Tag, Zimmer. Das Zimmer grinst, unhörbar. Du schämst dich ein bißchen. Und machst dich, leicht verstört, wieder an die Lektüre.

Aber so schön, wie es vorher gewesen ist, ist es nun nicht mehr – draußen klappert jemand an der Küchentür, der Straßenlärm ist wieder da, und über dir geht jemand auf und ab. Und nun ist es ein ganz gewöhnliches Buch, wie alle andern.

Wer so durchhalten könnte: zweihundert Seiten lang! Aber das kann man wohl nicht."

(Kaspar Hauser, Die Weltbühne, 12.04.1932, Nr. 15, S. 573.)

Essay von Kurt Tucholsky...

Quelle

Jüdischer Witz

"Ein Jude begeht Selbstmord und wird daraufhin von Gott zur Rede gestellt:

"Warum hast du das getan? Weißt du nicht, dass ein Jude sich nicht töten darf?"

"Ja", sagt der Jude, "aber mein Sohn hat sich taufen lassen." Darauf der liebe Gott: "Na und, meiner hat sich auch taufen lassen." "Und was hast du darauf gemacht?", will der Jude wissen. "Ein neues Testament."

(...)

Nach dem Krieg bekam das deutschen Publikum meistens in Talkshows, wenn etwa der Soziologe Alphons Silbermann zu Gast war, moderne jüdische Witze zu hören, wie etwa den: "Ein Jude möchte seinen neuen Ferrari segnen lassen. Er geht zum orthodoxen Rabbiner und trägt sein Anliegen vor. Der sagt, 'ja gerne, aber was ist ein Ferrari?' Ähnlich ergeht es ihm bei dem konservativen Rabbiner, dann geht er zu einem liberalen Rabbiner, der fragt: 'Was ist ein Segen?'"

(...)

Doch zu Beginn der jüdischen Geschichte verhinderte zunächst noch eine starke religiöse Bindung, dass die eigene religiöse Tradition zum Gegenstand von Witzen wurde. Schließlich war die Mehrheit der Juden damals noch fest davon überzeugt, dass alles gottgewollt sei, selbst das Leiden. Der jüdische Witz konnte sich erst voll entfalten, als sich mit der Neuzeit den Juden in Mitteleuropa die Chance zur Emanzipation und Assimilation bot, als die mittelalterliche Gläubigkeit und Gottergebenheit ihre Kraft verlor und damit das Leiden seinen metaphysisch religiösen Sinn. Wer allerdings den Ausstieg aus dem Judentum nur positiv beurteilte, hatte keinen Anlass, diesen Schritt witzig zu beleuchten. Seine volle Tiefe und Schärfe erreicht der Täuflingswitz nur dort, wo der Abtrünnige sich der Fragwürdigkeit seines Schrittes bewusst wurde, wie etwa Heinrich Heine, der die eigene Situation im beißenden Witz vortrefflich parodiert hat. Heine war ein Zyniker ersten Ranges wie das Gedicht "Zum Lazarus" beweist:

Lass die heiligen Parabolen,

lass die frommen Hypothesen -

Suche die verdammten Fragen

Ohne Umschweife uns zu lösen,

Warum schleppt sich blutend, elend,

Unter Kreuzlast der Gerechte,

Während glücklich als ein Sieger

Trabt auf hohem Ross der Schlechte?

Woran liegt die Schuld? Ist etwa

Unser Herr nicht ganz allmächtig?

Oder treibt er selbst den Unfug?

Ach, das wäre niederträchtig.

Also fragen wir beständig,

Bis man uns mit einer Handvoll

Erde endlich stopft die Mäuler -

Aber ist das eine Antwort?

Als Heine im Sterben lag, kniete seine Geliebte an seinem Bett und betete zu Gott, dass er ihm alle seine Sünden verzeihe. Da sagte Heine mit schwacher Stimme: "Meine Liebe, sorge dich nicht - er wird mir schon verzeihen, denn Sünden vergeben gehört zu seinem Beruf."(...)"

Weiter lesen in "Witz als Waffe".

27. September 2009

Der Saft des Morgens


* * *

Mit deiner Zungenfertigkeit wird Feuer lieben,
Was Wasser nicht vollenden kann.
Ich werde zu dem Fisch und du zum Vogel,
Der mich verfolgt, der mich zerfleischt.

Du wirst zur Sonne fliegen und verbrennen
An Folgen der Unzärtlichkeit.
Ich werde Atem halten und ersticken
Im See der Unbarmherzigkeit.

18. August 2009




Früher Morgen
Am frühen Morgen bin ich nicht am Leben,
Denn mich verspeisten Nacht und Nebel.
Sie rissen Träume meine aus dem Herzen
Und hinterließen Löcher, kleine Fetzen.

Vererbt hast du nur meinen Körper warmen,
Er atmete dich ein und heilten seine Narben.
Du sahst mich an mit deinen Seen weisen,
Erwecktest wieder Leben durch Verheißung.

Den Saft des Morgens trank ich aus dir völlig,
Du gabst mir Kraft und Neugier dafür zornig.
Wenn du mir Glauben beibringst, werde ich gläubig.
Denn du bist Mann mein, schöner G-tt, der leugnet.

15. September 2009

20. September 2009

Das Pochen

Vor einiger Zeit zitierte ich bereits diese zwei besonders feinfühligen Gedichte. Als ich sie neulich aber vorgelesen hörte, fühlte ich mich in ihnen derart gefangen, dass es fast keinen Ausweg mehr daraus gab, spürte das Pochen... Wie ich sind sie...



(Danke an das Blog "
Die singende Muschel" für dieses Video)

Mascha Kaléko (1907, Schidlow/Polen - 1975, Zürich) Biographie
Lass mich das Pochen deines Herzens spüren,
dass ich nicht höre, wie das meine schlägt.
Tu vor mir auf all die geheimen Türen,
da sich ein Riegel vor die meinen legt.
Ich kann es, Liebster, nicht im Wort bekennen,
und meine Tränen bleiben ungeweint,
die Macht, die uns von Anbeginn vereint,
wird uns am letzten aller Tage trennen.
All meinen Schmerz ertränke ich in Küssen.
All mein Geheimnis trag ich wie ein Kind.
Ich bin ein Blatt, zu früh vom Baum gerissen.
Ob alle Liebenden so einsam sind ?



(Gesprochen von Ulrike Grote)


Else Lasker-Schüler (1869 - 1945) Biographie
Ich liebe dich


Ich liebe dich
Und finde dich
Wenn auch der Tag ganz dunkel wird.
Mein Lebelang
Und immer noch
Bin suchend ich umhergeirrt.
Ich liebe dich!
Ich liebe dich!
Ich liebe dich!
Es öffnen deine Lippen sich...
Die Welt ist taub,
Die Welt ist blind
Und auch die Wolke
Und das Laub -
- Nur wir, der goldene Staub
Aus dem wir zwei bereitet: - Sind!

15. September 2009

Briefe in den September

Studie von Herbert James Draper zu "Clyties of the Mist"
(Das endgültige Bild befindet sich hier: "Clyties of the Mist" (circa 1912))

Else Lasker-Schüler
In deinen Augen
Blau wird es in deinen Augen -
aber warum zittert all mein Herz
vor deinen Himmeln?
Nebel liegt auf meiner Wange
und mein Herz beugt sich zum Untergange.



Bernd Jentzsch
Zwei Leiber

Wir grasten auf unseren lockigen Wiesen.
Wir rissen uns um unsre Haut.
Ich war das Nest zwischen deinen Brüsten.
Wir waren ein Mann und eine Frau.


Wir wollten das Hemd, das nur aus Knöpfen besteht,
Und den Handschuh, der unsere Finger vermehrt.
Wir sahen der Zunge zu, die in ihrer Höhle tanzte.
Wir waren ein Knoten, den kein Matrose kennt.


Wir gaben uns Namen wie Narren.
Wir waren nicht ganz von dieser Welt
Und verschwanden einer im andern.


Wir machten unsre Schatten neidisch auf uns.

Jede Pore ein Mund, der uns rief.
Wir redeten irrsinnig und ohne Interpunktion.
Wir streiften den Wahnsinn ein wenig über dem Glück.
Wir waren alle Männer und alle Fraun.


Unsere Zukunft lag in der Gegenwart.
Wir stellten uns tot, um die Auferstehung zu erleben.


Am Morgen, in der ersten Herrgottsfrühe,
Als ich ertrunken schwamm in deinem Schaum,
Bin ich zitternd wie ein Füllen erwacht.
Im Spiegel
Balgten sich
Meine Schenkel
Noch
Mit deinen.




Else Lasker-Schüler
Ein Liebeslied

Komm zu mir in der Nacht - wir schlafen engverschlungen.
Müde bin ich sehr, vom Wachen einsam.
Ein fremder Vogel hat in dunkler Frühe schon gesungen,
Als noch mein Traum mit sich und mir gerungen.

Es öffnen Blumen sich vor allen Quellen
Und färben sich mit deiner Augen Immortellen...

Komm zu mir in der Nacht auf Siebensternenschuhen
Und Liebe eingehüllt Spät in mein Zelt.
Es steigen Monde aus verstaubten Himmelstruhen.

Wir wollen wie zwei seltene Tiere liebesruhen
Im hohen Rohre hinter dieser Welt.

Die inspirierenden Bilder und die Studien zu ihnen von dem britischen Maler des viktorianischen Stils Herbert James Draper gibt es hier.

Air "Venus"


"You could be from Venus
I could be from Mars"