7. Juni 2007

Mascha Kaléko 100 Jahre

Mascha Kaléko (1907, Schidlow/Polen - 1975, Zürich) Biographie

Am 7. Juni 2007 ist der 100. Geburtstag der deutschsprachigen jüdischen Lyrikerin Mascha Kaléko.

"Die Lyrikerin zählt zu den bedeutendsten deutschsprachigen Dichterinnen des 20. Jahrhunderts. Wie Erich Kästner, Kurt Tucholsky oder Joachim Ringelnatz, mit denen sie immer wieder verglichen wird, wollte sie keine feingeistige Literatur für wenige schreiben, sondern eine zugängliche, unverkrampfte »Gebrauchspoesie« im besten Sinne. In ihrem unverwechselbaren Ton schuf sie Gedichte, die man für das Leben gebrauchen kann, aus dem Alltag für den Alltag, gegenwartsnah, voller Ironie und gleichzeitig voller Gefühl." Link

Ein Auszug aus dem Hagalil-Artikel mit den zitierten Gedichten und Ausführungen zu ihrer Bedeutung - Mascha Kaleko:

„In ihrer Lyrik und Prosa schildert sie den Alltag, so wie er von den neuen jungen Frauen der Weimarer Republik erlebt wird, ihre Texte, wie die von Irmgard Keun und Gabriele Tergit, sind von der Stimmung dieser Zeit durchtränkt – "der paar leuchtenden Jahre vor der großen Verdunkelung", nennt sie sie später. Ihre Gedichte und Texte werden in fast allen Zeitungen veröffentlicht, im Berliner Tageblatt, in der Vossischen Zeitung, der Welt am Montag – sie ist nervös, sie ist unsicher, sie hat trotzdem Erfolg. Ein dummes Mädchen nennt sie sich damals, ahnungslos, hat keine Kontakte, keine Verbindungen, sie schickt auf gut Glück ihre Gedichte hin; sie werden angenommen. Wenn die Redakteure entdecken, wie jung sie noch ist, staunen sie.weiter

„Mascha Kaleko ist eine Philosophin der kleinen Leute. Nie ist sie süßlich verlogen, nein, eher herb und sehr gescheit...Ich hätte sie gerne gekannt.“ (Anna Rheinsberg) Quelle

Podcast mit ihren Gedichten zum Anhören von dtv.de und literaturcafe.de

Einige ihrer Gedichte:

Alle 7 Jahre

In den weisen Büchern habe ich gelesen:
Alle sieben Jahre wandelt sich dein Wesen.
Alle sieben Jahre, merket, Mann und Weib,
Wandelt sich die Seele, wandelt sich der Leib.

Wandelt sich dein Hassen, wandelt sich dein Lieben.
Und ich zählte heimlich: drei Mal, vier Mal sieben.
Ach, die Geister kamen. Und mein Ohr vernimmt:
Alle sieben Jahre ... Siehe da, es stimmt.

Sorgenvoll betracht ich alle Liebespaare.
Ob sie es wohl wissen: Alle sieben Jahre ... !
Selbst in deinen Armen fragt mein Schatten stumm:
Wann sind wohl, Geliebter, unsre sieben um?


Weil du nicht da bist

Weil du nicht da bist, sitze ich und schreibe
All meine Einsamkeit auf dies Papier.
Ein Fliederzweig schlägt an die Fensterscheibe.
Die Maiennacht ruft laut. Doch nicht nach mir.

Weil du nicht da bist, ist der Bäume Blühen,
Der Rosen Duft vergebliches Bemühen,
Der Nachtigallen Liebesmelodie
Nur in Musik gesetzte Ironie.

Weil du nicht da bist, flücht ich mich ins Dunkel.
Aus fremden Augen starrt die Stadt mich an
Mit grellem Licht und lärmendem Gefunkel,
Dem ich nicht folgen, nicht entgehen kann.

Hier unterm Dach sitz ich beim Lampenschirm;
Den Herbst im Herzen, Winter im Gemüt.
November singt in mir sein graues Lied.
»Weil du nicht da bist« flüstert es im Zimmer.

»Weil du nicht da bist« rufen Wand und Schränke,
Verstaubte Noten über dem Klavier.
Und wenn ich endlich nicht mehr an dich denke,
Die Dinge um mich reden nur von dir.

Weil du nicht da bist, blättre ich in Briefen
Und weck vergilbte Träume, die schon schliefen.
Mein Lachen, Liebster, ist dir nachgereist.
Weil du nicht da bist, ist mein Herz verwaist.


Das berühmte Gefühl

Als ich zum ersten Male starb,
- Ich weiß noch, wie es war.
Ich starb so ganz für mich und still,
Das war zu Hamburg, im April,
Und ich war achtzehn Jahr.

Und als ich starb zum zweiten Mal,
Das Sterben tat so weh.
Gar wenig hinterließ ich dir:
Mein klopfend Herz vor deiner Tür,
Die Fußspur rot im Schnee.

Doch als ich starb zum dritten Mal,
Da schmerzte es nicht sehr.
So altvertraut wie Bett und Brot
Und Kleid und Schuh war mir der Tod.
Nun sterbe ich nicht mehr.


Ich und Du

Ich und Du wir waren ein Paar
Jeder ein seliger Singular
Liebten einander als Ich und als Du
Jeglicher Morgen ein Rendezvous
Ich und Du wir waren ein Paar
Glaubt man es wohl an die vierzig Jahr
Liebten einander in Wohl und in Wehe
Führten die einzig mögliche Ehe
Waren so selig wie Wolke und Wind
Weil zwei Singulare kein Plural sind.


Interview mit mir selbst
Anno Zwounddreißig

Ich bin als Emigrantenkind geboren
In einer kleinen, klatschbeflißnen Stadt,
Die eine Kirche, zwei bis drei Doktoren
Und eine große Irrenanstalt hat.

Mein meistgesprochnes Wort als Kind war "Nein".
Ich war kein einwandsfreies Mutterglück.
Und denke ich an jene Zeit zurück -
Ich möchte nicht mein Kind gewesen sein.

Im Ersten Weltkrieg kam ich in die achte
Gemeindeschule zu Herrn Rektor May.
Ich war schon sechs, als ich noch immer dachte,
Daß, wenn die Kriege aus sind, Frieden sei.

Zwei Oberlehrer fanden mich begabt,
Weshalb sie mich, zwecks Bildung, bald entfernten.
Doch was wir auf der Hohen Schule lernten,
Ein Volk "Die Arier" ham wir nicht gehabt.

Beim Abgang sprach der Lehrer von den Nöten
Der Jugend und vom ethischen Niveau.
Es hieß, wir sollten jetzt ins Leben treten.
Ich aber leider trat nur ins Büro.

Acht Stunden bin ich dienstlich angestellt
Und tue eine schlechtbezahlte Pflicht.
Am Abend schreib ich manchmal ein Gedicht.
Mein Vater meint, das habe noch gefehlt.

Bei schönem Wetter reise ich ein Stück
Per Bleistift auf der bunten Länderkarte.
An stillen Regentagen aber warte
Ich manchmal auf das sogenannte Glück.


Post Scriptum
Anno Fünfundvierzig

Inzwischen bin ich viel zu viel gereist,
Zu Bahn, zu Schiff, bis über den Atlantik.
Doch was mich trieb, war nicht Entdeckergeist,
Und was ich suchte, keineswegs Romantik.

Das war einmal. In einem anderen Leben.
Doch unterdessen, wie die Zeit verrinnt,
Hat sich auch biographisch was ergeben:
Nun hab ich selbst ein Emigrantenkind.

Das lernt das Wörtchen "alien" buchstabieren
Und spricht zur Mutter: "Don't speak German, dear."
Muß knapp acht Jahr alt Diskussionen führen,
Daß er "allright" ist, wenn auch nicht von hier.

Grad wie das Flüchtlingskind beim Rektor May!
Wenn ich mir dies Dacapo so betrachte . . .
Er denkt, was ich in seinem Alter dachte:
Daß, wenn die Kriege aus sind, Frieden sei.


Mehr Gedichte sind hier , hier und hier.

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