3. Juli 2012

Bist du meine Heimat?


Wenn Sonnenblumen nicht zu einem Blumenstrauß zusammengeschnitten werden, sie man aber auf einem Feld als ein Meer betrachten könnte, wäre ich dann vielleicht zu Hause? Sie winken dem Wind mit den schweren Köpfen und fragen sich gewiss, was aus ihren Kindern – den Kernen wird. 

Die Sonnenblume hat für mich eine besondere Bedeutung. Immer im August denke ich daran. Mein Vater war zwanzig, ein junger sowjetischer Jurastudent, in die Armee einberufen, kurz bevor der Krieg ausbrach.  Der sechste August `41 hat sein Leben verändert.  Schwer verwundet verbrachte er  zwei Tage ohne jegliche Hilfe auf einem ukrainischen Sonnenblumenfeld liegend und kriechend… Er hat versucht, die schweren Regentropfen von den großen Sonnenblumenblättern zu trinken. Zu bitter waren sie aber. Diese Bitterkeit hat er für sein Leben lang im Gedächtnis behalten. Umso lieber ist ihm diese Blume für die Ewigkeit geblieben und ich ihr womöglich sogar danke, dass sie meinen Vater damals auf ihre Art beschützt hatte. Auch wenn es erst der Anfang der Hölle war… Hätte ich das alles in seinem Alter überlebt? Wie selbstverständlich ist mir heute die Gesellschaft, in der ich lebe, die Freude am Leben, meine Umgebung, junge Späße, kein Tod. Und damals? Was wäre damals gewesen?

Auch in dem Film „Alles ist erleuchtet“ ("Everything is illuminated") werden die ukrainischen Sonnenblumen zum Inbegriff des Nahen, der Heimat.


Was ist also Rodina (russ. Wort für Heimat)? Etwas, was mich mit den Eltern verbindet, wie diese Blumen? Oder ist es etwas Eigenständiges, was nur für mich, die bereits kein kleines Kind mehr ist, da ist? Wohin ich auch gehen würde, würde es mich erwarten? Ist es überhaupt an einen Ort gebunden? Oder eher an eine Erinnerung? Ist es die Literatur, die Worte, die mich überall auffangen und mich umarmen, wenn ich einsam bin? Ist es die Muttersprache oder welch eine von vielen, die noch kommen werden?
Wird es irgendwann ein Mensch sein, der zu mir sagen wird: Du bist meine Heimat?..

Die gesungenen Verse in dem Filmausschnitt sind niemandem anderen als dem großen russischen Dichter Alexander Sergeevitsch Puschkin entliehen, seinem bekanntesten Gedicht, gerichtet an Anna Petrovna Kern.
In hoffnungslosem Leid gefangen,
Im Wirbelwind der lauten Welt
Erklang dein zartes Stimmchen lange,
Im Traum erschien dein zartes Bild.

Ein Augenblick, ein wunderschöner:
Vor meine Augen tratest du,
Erscheinung im Vorüberschweben,
Der reinen Schönheit Genius.


Das vollständige Gedicht ist hier zu lesen unter "An ***".

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