16. April 2009

Schreib ihr ein Meer und nenne es mit zärtlichem Namen...

Bild von S: Kirschbäume im April

Variation zum Thema

Gedanken einer optimistisch Verzweifelten 
Sie haderte mit Worten, suchte den Sinn… Wieder fiel ihr das Gelesene ein. Wieder Paul und wieder Celan, der sie faszinierte. 1957 schrieb er an die von ihm geliebte I. Bachmann:
Du weißt auch: Du warst, als ich dir begegnete, beides für mich: das Sinnliche und das Geistige. Das kann nie auseinandertreten, Ingeborg. (…) Sooft ichs lese, seh ich dich in dieses Gedicht treten: Du bist der Lebensgrund, auch deshalb, weil Du die Rechtfertigung meines Sprechens bist und bleibst. (…) Aber das allein, das Sprechen, ists ja gar nicht, ich wollte ja auch stumm sein bei dir.“ [Aus: "Herzzeit: Ingeborg Bachmann - Paul Celan. Der Briefwechsel" (1. Auflage, 2008)]
Im Traum nachts begegnete sie ihrer Vergangenheit, sprach mit ihr. Dies war es, was ihr in Wirklichkeit verwehrt geblieben war. Denn sie verschwand schweigsam und spurlos aus seinem Gedächtnis...
Hörst du, wie die Blumen wachsen? Wie sie gegen die Kälte kämpfen, durch die Erde den Weg suchend? Wie die Samen, noch eher vom Regen aus derselben grauen Erde weggespült zu werden und in der Sonne später zu vertrocknen? Noch bevor der Kampf beginnt… Oder wenn der eifrige Betrachter jene schöne Blüten wegschneidet, ohne ihnen auch nur eine kleinste Möglichkeit gegeben zu haben, auf ihren Stängeln von der Erde aus aufzugehen. Nur um sie vielleicht jemandem zu schenken... Jemandem, um das Gewissen zu beruhigen oder dasselbige seine zu belügen...

So sind auch Gefühle. Es ist die Sehnsucht eines jungen Mädchens, das du kanntest, die dich berührt, wenn du eine andere Frau mit in den Konzertsaal nimmst, wenn du mit ihr glücklich bist. Nicht mit einer, mit mehreren. Ist denn das Glück, was du dir dabei einbildest... Es waren Mädchens Tränen, die leise waren... Sie ist, wie die Blumen, die nie die Möglichkeit gehabt haben, zur Reife aufzublühen und später zu sterben... Des würdigen Todes nach wenn auch einem kurzen Blumenleben, aber glücklichen, und des natürlichen Abblühens. Nahe der Erde, nahe ihrer Wurzel... Die Wurzel ist aber längst verfault...

Hörst du den Donner, den ersten Donner, der eines Nachts noch kommen wird? Maiungewitter. Das wird das Gewissen sein. Besitzt du noch eins? Wenn ja, dann schreib ihr nicht mehr. Du warst der Mann, du warst der Freund, aber schon längst nicht mehr.

Die Gedichte schrieb sie vor Nächten und vernichtete sie wieder.. Den Schmerz, den Stolz, das Unverständnis der Anderen ihr gegenüber zerstörte sie mitsammen...

Nie mehr wollte sie schweigsam verlassen werden oder diejenige sein, von der lauthals mit den künstlichen Tränen und der Phrase "Ich liebe dich" Abschied für immer genommen wird. Nie wollte sie je auf eine Nachricht oder Anruf warten und am Telefon verlassen werden. Nie wieder belogen sein. Diejenige, die man fallen lässt, ohne Vorwarnung, ohne Skrupel, die man am Bahnsteig alleine stehen lässt und wegfährt mit der nächsten Bahn und zu der nächsten Frau... Diejenige sein, die man einfach vergisst, wie einen nutzlosen Schirm am fremden Bahnhof, zu dem man nie wieder zurückkehrt. Daher war sie es lieber, die verschwindet und nie wieder auftaucht. Du - der Mann, schreib nicht... Das junge Mädchen, das du kanntest, wird zur jungen Frau. Schreib ihr nicht mehr... Lass ihr Herz…

Im letzten Jahr verlor sie drei Menschen. Ihren Mann, ihren besten Freund und ihren Seelenverwandten. Es waren drei verschiedene, drei vollkommen unterschiedliche Männer, die zu unerwarteten, unterschiedlichen Zeiten und Jahren ihr begegnet waren. Drei Seelen- und Herzensbrüche verschiedener Intensität und Belastung. Tränenmeere verursachten sie. Alle drei. Herzklopfen über die Leidensgrenze und Bewegungslosigkeit des Geistes hinaus. Jedes Mal starb sie und vergaß sich selbst, vergaß die Straße des Lebens. Sie wurde sogar der Fähigkeit zu lieben beraubt,- spürte sie. Bei wem ihr die Seele am meisten weh tat, verriet sie mir nicht. Das flüsterten ihre Gedichte...

Einer von ihnen kam unverhofft zurück und brachte ihr die Fähigkeit zu schreiben und zu fühlen zurück. Er war fast ihrer und sie fast seine. Das ist er immer noch. Das wird er sein. Sie haben einander im Gefühl. Mehr braucht man nicht. Nur paar Worte, die zu Meeren von Worten irgendwann ausufern… Später werden nicht mal Worte benötigt. Man ist überschwemmt, man ist glücklich. Sie ist es auch, wie es ist.
...
Schreib ihr ein Meer und nenne es mit einem zärtlichen Namen...
März-April 2009

Keine Kommentare: