14. Januar 2009

Ekstase der Unmöglichkeit

"Ich habe aufgehört, Gedichte zu schreiben, als mir der Verdacht kam, ich "könne" jetzt Gedichte schreiben, auch wenn der Zwang, welche zu schreiben, ausbliebe. Und es wird eben keine Gedichte mehr geben, eh' ich mich nicht überzeuge, daß es wieder Gedichte sein müssen und nur Gedichte, so neu, daß sie allem seither Erfahrenen wirklich entsprechen." (Ingeborg Bachmann, 1963) Quelle

Ingeborg Bachmann (1926-1973)
 
 Fall ab, Herz

Fall ab, Herz vom Baum der Zeit,
fallt, ihr Blätter, aus den erkalteten Ästen,
die einst die Sonne umarmt',
fallt, wie Tränen fallen aus dem geweiteten Aug!

Fliegt noch die Locke taglang im Wind
um des Landgotts gebräunte Stirn,
unter dem Hemd preßt die Faust
schon die klaffende Wunde.

Drum sei hart, wenn der zarte Rücken der Wolken
sich dir einmal noch beugt,
nimm es für nichts, wenn der Hymettos die Waben
noch einmal dir füllt.

Denn wenig gilt dem Landmann ein Halm in der Dürre,
wenig ein Sommer vor unserem großen Geschlecht.

Und was bezeugt schon dein Herz?
Zwischen gestern und morgen schwingt es,
lautlos und fremd,
und was es schlägt,
ist schon sein Fall aus der Zeit.


Dein Hut lüftet sich leis, grüßt, schwebt im Wind,
dein unbedeckter Kopf hat's Wolken angetan,
dein Herz hat anderswo zu tun,
dein Mund verleibt sich neue Sprachen ein,
das Zittergras im Land nimmt überhand,
Sternblumen bläst der Sommer an und aus,
von Flocken blind erhebst du dein Gesicht,
du lachst und weinst und gehst an dir zugrund,
was soll dir noch geschehen -
Erklär mir, Liebe!
Der Pfau, in feierlichem Staunen, schlägt sein Rad,
die Taube stellt den Federkragen hoch,
vom Gurren überfüllt, dehnt sich die Luft,
der Entrich schreit, vom wilden Honig nimmt
das ganze Land, auch im gesetzten Park
hat jedes Beet ein goldner Staub umsäumt.
Der Fisch errötet, überholt den Schwarm
und stürzt durch Grotten ins Korallenbett.
Zur Silbersandmusik tanzt scheu der Skorpion.
Der Käfer riecht die Herrlichste von weit;
hätt ich nur seinen Sinn, ich fühlte auch,
daß Flügel unter ihrem Panzer schimmern,
und nähm den Weg zum fernen Erdbeerstrauch!
Erklär mir, Liebe!
Wasser weiß zu reden,
die Welle nimmt die Welle an der Hand,
im Weinberg schwillt die Traube, springt und fällt.
So arglos tritt die Schnecke aus dem Haus!
Ein Stein weiß einen andern zu erweichen!
Erklär mir, Liebe, was ich nicht erklären kann:
sollt ich die kurze schauerliche Zeit
nur mit Gedanken Umgang haben und allein
nichts Liebes kennen und nichts Liebes tun?
Muß einer denken? Wird er nicht vermißt?
Du sagst: es zählt ein andrer Geist auf ihn ...
Erklär mir nichts. Ich seh den Salamander
durch jedes Feuer gehen.
Kein Schauer jagt ihn, und es schmerzt ihn nichts.


Ingeborg Bachmann

"(...) Vor allem in ihrer Lyrik bemüht sie sich um
die Entwicklung einer besseren Sprache, verbindet in ihren Texten den traditionellen Ton und altbekannte Bilder mit einer modernen Schreibweise. In ihrem zentralen Gedicht „Erklär mir, Liebe“ heißt es zum Beispiel: „Der Käfer riecht die Herrlichste von weit; / hätt ich nur seinen Sinn, ich fühlte auch, / daß Flügel unter ihrem Panzer schimmern, / und nähm den Weg zum fernen Erdbeerstrauch.“

So etwas kennt man. Das Gedicht endet allerdings mit einem modernen Bild, das später noch eine Bedeutung auch für Bachmanns Leben entwickeln würde:

„Erklär mir nichts. Ich seh den Salamander / durch jedes Feuer gehen. / Kein Schauer jagt ihn, und es schmerzt ihn nichts.“



Die Liebe schmerzt

Anders als den Salamander schmerzt Bachmann die Liebe. Von 1958 bis 1963 ist sie liiert mit dem fünfzehn Jahre älteren Schweizer Max Frisch („Stiller“, „Homo Faber“, „Andorra“), dessen Produktivität sie ihm neidet, während er wiederum äußerst eifersüchtig auf die Verehrer seiner jungen und attraktiven Freundin ist. Die beiden werden vom Feuilleton zum „Traumpaar des deutschen Literaturbetriebs“ ausgerufen – die Realität allerdings sieht anders aus, wie Frisch in seinen späteren Aufzeichnungen „Montauk“ (1975) beschreibt: „Ich bin ein Narr und weiß es. Ihre Freiheit gehört zu ihrem Glanz. Die Eifersucht ist der Preis von meiner Seite; ich bezahle ihn voll. Auf der sommernächtlichen Terrasse mit Blick über Rom schlafe ich mit dem Gesicht in der eignen Kotze. Ich leide zur Vermehrung meines zärtlichen Verlangens.“ Eine komplizierte Beziehung endet kompliziert: Ingeborg Bachmann findet Frischs Tagebuch in einer verschlossenen Schublade, „sie hat es gelesen und verbrannt. Das Ende haben wir nicht gut bestanden, beide nicht.“

Das Motiv des (Ver)Brennens zieht sich durch Bachmanns Leben – in den 1960er-Jahren brennt sie noch vor Leidenschaft, wird die Geliebte des Judaisten Georg Taubes, der die Wechselhaftigkeit der gemeinsamen Zeit ähnlich wie Frisch beschreibt:„I was in a liaison with the most powerful German poetress of our generation and we went down to hells and up to heavens in Berlin, in Klagenfurt, in Prag and three months in Rome.“ (...)"weiter lesen

"Du warst, als ich dir begegnete, beides für mich: das Sinnliche und das Geistige." Paul Celan an Ingeborg Bachmann

[aus dem Buch: "Herzzeit: Ingeborg Bachmann - Paul Celan. Der Briefwechsel" amazon]

"Herzzeit: Ingeborg Bachmann - Paul Celan. Der Briefwechsel" Leseprobe
"Die Liebesbeziehung zwischen den beiden bedeutendsten deutschsprachigen Dichtern nach 1945 beginnt im Wien der Nachkriegszeit. Bachmann studiert dort Philosophie, für Paul Celan ist Wien eine Zwischenstation. Im Mai 1948 lernen sie einander kennen, Ende Juni geht er nach Paris. Ihr Briefwechsel nach der Trennung ist zuerst schütter, verläuft zögernd, dann setzt er sich fort in immer neuen dramatischen Phasen. Jede dieser Phasen hat ihr eigenes Gesicht: ihren besonderen Ton, ihre Themen, ihre Hoffnungen, ihre Dynamik, ihre eigene Form des Schweigens. Ende 1961 brechen das briefliche Gespräch und die persönlichen Begegnungen ab, als sich Celans psychische Krise auf dem Höhepunkt der Goll-Affäre zuspitzt.
Der Briefwechsel zwischen 1948 und 1961 (ein letzter Brief Celans datiert aus dem Juni 1967) ist ein bewegendes Zeugnis: zunächst als das Gespräch einer Liebe nach Auschwitz mit allen symptomatischen Störungen und Krisen aufgrund der so konträren Herkunft der beiden und ihrer schwer zu vereinbarenden Lebensentwürfe als Frau und als Mann und als Schreibende. Aber es ist auch ein Ringen um Freundschaft oder um wenigstens irgendeine Beziehung. Ergänzend zu den beinahe zweihundert Zeugnissen ihrer Korrespondenz wurden die Briefwechsel zwischen Ingeborg Bachmann und Gisèle Celan-Lestrange sowie zwischen Paul Celan und Max Frisch in den Band aufgenommen."Quelle

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