25. Juni 2008

Zur Heimat erkor ich mir die Liebe

Mascha Kaleko (1912, Schidlow/Polen - 1975, Zürich)

Die Lyrikerin Mascha Kaléko. Zur Heimat erkor sie sich die Liebe
(Von Marcel Reich-Ranicki)

"(...)Ihr Werk, fast ausschließlich Gedichte, macht es den Kritikern, die sie ernst nehmen, schwer und den Lesern immer leicht. Sicher ist: Sie dichtete ihr Leben, und sie lebte ihre Dichtung. Das mag für viele Lyriker gelten, für Frauen zumal. Doch fällt in den Versen der Kaléko ein leiser Widerspruch auf, der sich permanent, wenn auch unaufdringlich bemerkbar macht und dieser Poesie den Reiz verleiht: Ihre Heiterkeit ist munter, aber ernst und elegisch, ihre Schwermut in der Regel ganz leicht, sogar keck und scherzhaft. Wie denn, scherzhafte Melancholie? Ja, denn sie sieht die Welt (die Formulierung stammt von Heine) mit einer lachenden Träne im Auge. Thomas Mann spricht von der „aufgeräumten Melancholie“ der Kaléko, von ihrer „wohllautend mokanten Stimme“.(...)"weiter lesen


Zur Heimat erkor ich mir die Liebe

Ausgesetzt
in einer Barke von Nacht
trieb ich
und trieb an ein Ufer.

An Wolken lehnte ich gegen den Regen.
An Sandhügel gegen den wütenden Wind.
Auf nichts war Verlaß.
Nur auf Wunder.

Ich aß die grünenden Früchte der Sehnsucht,
trank von dem Wasser, das dürsten macht.
Ein Fremdling, stumm vor unerschlossenen Zonen,
fror ich mich durch die finsteren Jahre.

Zur Heimat erkor ich mir die Liebe.


Blatt im Wind

Lass mich das Pochen deines Herzens spüren,
dass ich nicht höre, wie das meine schlägt.
Tu vor mir auf all die geheimen Türen,
da sich ein Riegel vor die meinen legt.

Ich kann es, Liebster, nicht im Wort bekennen,
und meine Tränen bleiben ungeweint,
die Macht, die uns von Anbeginn vereint,
wird uns am letzten aller Tage trennen.

All meinen Schmerz ertränke ich in Küssen.
All mein Geheimnis trag ich wie ein Kind.
Ich bin ein Blatt, zu früh vom Baum gerissen.

Ob alle Liebenden so einsam sind ?



Quasi ein Mahnbrief

Verehrter Herr ! Jetzt wird`s zu monoton.
Am letzten Sonntag waren es zwei Wochen:
Kein Brief, kein Gruß, kein Wort am Telefon...
- Was habh ich denn so Furchtbares verbrochen ?

Wir sprachen, wie das so im Leben sei,
und ob es mit uns beiden wohl so bliebe.
Ich sagte nur: ich glaube nicht an Liebe.
...Und das im Mai.

Da zupften Sie an Ihrem Schlips und Kragen.
(Das tun Sie immer, wenn Sie etwas erregt.)
Dann wollten Sie zuerst noch etwas sagen.
Das haben Sie sich rasch noch überlegt.

Und mittendrin, beim schönsten Wortgefecht,
da ließen Sie mich ohne Antwort stehen
und sich bis heute überhaupt nicht sehen.
...Und das mit Recht.

Nachschrift:

Jetzt warte ich auf Dich seit vierzehn Tagen.
Und vierundzwanzig Stunden hat der Tag.
- Du weißt doch ganz genau, daß ich Dich mag.
Was mußt Du nur so dumme Dinge fragen.

Es ist so schön, zu wissen daß Du da bist.
Kann ich denn sagen, wie spät es wird.
Weißt Du, ob sich Dein Herz nicht doch verirrt ?
- Noch ist es schön zu fühlen, daß Du nah bist.

...Soviel nur noch zum Thema "Lebensglück".
Willst du verstehn, ist alles wie gewesen.
-Sonst aber -, selbst, wenn Du ihn nicht gelesen,
erbitte ich den Hamsun bald zurück.


Zärtliche Epistel

Der blaue Himmel ist nur halb so blau,
weil du nicht da bist, Liebster.
Deine Nähe macht, dass ich alles Schöne schöner sehe.
Ich bin doch eine unmoderne Frau !

Ich liebe dich trotz Ehering und Sorgen.
Und Heimat ist nur, wo mit dir ich bin.
Fühl ich mich doch noch heimlich Königin,
auch wenn uns Wirt und Bäcker nicht mehr borgen.

Musik ist, wo du bist. Dein Stirb und Werde.
Ja, selbst der Kummer trägt ein schönes Kleid.
Viel lieber noch ist mir der Träumer Leid
als sattes Glück der wohlversorgten Herde.

Der Wald hier, mein Lieb, ist ein richtiger Wald !
Und die Bäume....Die Bäume, sie rauschen.
Und "le lac" ist ein See. Ein richtiger See.
Und die steigenden Hügel - kein Traum.
Oh, wie gut ist`s dem Schweigen zu lauschen
und dem Vogelgezwitscher im Baum.

Du wirst bestimmt zum Wochenende kommen ?
Gesegnet sei das gute Telefon !
Es gibt hier Rehe. - (Unser kleiner Sohn
und meine Sehnsucht haben zugenommen.)

Kein Wiedersehen ohne Abschiedsschmerz,
das gilt noch immer. Aber, liebes Herz,
man muss sich nicht so schrecklich weit entfernen,
um diese alte Weisheit neu zu lernen....

Quelle: http://www.septembernebel.de/


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