23. Oktober 2015

Es kommen härtere Tage

Ingeborg Bachmann (1926, Klagenfurt -1973, Rom)

"Die gestundete Zeit" 

Es kommen härtere Tage.
Die auf Widerruf gestundete Zeit
wird sichtbar am Horizont.
Bald mußt du den Schuh schnüren
und die Hunde zurückjagen in die Marschhöfe.
Denn die Eingeweide der Fische
sind kalt geworden im Wind.
Ärmlich brennt das Licht der Lupinen.
Dein Blick spurt im Nebel:
die auf Widerruf gestundete Zeit
wird sichtbar am Horizont.


Drüben versinkt dir die Geliebte im Sand,
er steigt um ihr wehendes Haar,
er fällt ihr ins Wort,
er befiehlt ihr zu schweigen,
er findet sie sterblich
und willig dem Abschied
nach jeder Umarmung.


Sieh dich nicht um.
Schnür deinen Schuh.
Jag die Hunde zurück.
Wirf die Fische ins Meer.
Lösch die Lupinen!


Es kommen härtere Tage.

(Quelle)

Katharina Thalbach liest es
 

22. Oktober 2015

Auch

Auch Erwachsene weinen wie kleine Kinder, wenn man ihnen so sehr weh tut, dass sie nicht wissen, wohin nur, damit es aufhört. Mir gelingen keine Gedichte mehr, weil der Schmerz zu hoch ist. Daher verzeiht mir meine ungewohnten Posts. Durch den Schmerz habe ich meine Stimme verloren. Sucht ihr hier nach Schmerz? Wirklich? Ich kenne nichts mehr anderes.

Wenn Dezember kommt,
Wird das Herz sich heilen,
Aus dem Rest vom Schweigen,
Von dem Schaum des Bösen,
Aus dem roten Nichts.
Wenn Dezember kommt, 
Bleibe ich im Diesjahr,
Gar für immer leben,
Ohne atmend Herz.
Letztes Jahr wird dieses,
Nur damit je keiner
Mich berühren würde.
Keinem steht der Zugang
Zu den Lungen zu.
Es ist zugemauert, 
Es ist ausgeschnitten,
Ich bin gar zerstückelt
Von der Härte deinen.
Ich bin dir non grata,
Niemand, den du grüßt.

Wenn Dezember kommt,
Muss ich dich nicht sehen
Für den ganzen Monat
Bin ich endlich ich.
Wenn Dezember kommt,
Schlafe ich die Nächte
Endlich bis zum Morgen,
Ohne von dem Weinen
Plötzlich in den Träumen
Aufwachen zu müssen,
Weil ich einen Fehler
In dir nicht erkannte.
Erst zu spät wuchs Ahnung,
Dass vom Krebs befallen,
Bin ich nicht mehr fähig
Ihn in mir zu heilen.
Diesen Fehler letzten,
Der mich ganz zerfrisst.
Du bist nicht mehr heilbar,
Bist mein letzter Tritt.

22. Oktober 2015

10. Oktober 2015

fucking l*ve me?

Mit dem Feind schlafen, sich dabei töten und erneut aufwachen. Ein Wasserfall sein, der von der Erde bis in den Himmel strömt. Seine Hand zum Abschied auf meinem Hals spüren, sanft zugeschnürt. Er lässt nicht los.
"Magst du sowas?", fragt er.
Nein, aber du machst mich süchtig.
Fucking l*ve you?

The Underground Youth "Silhouette"


The Underground Youth "Strangle Up My Mind"



8. Oktober 2015

Sommer auf Raten

Die letzte Wärme, die letzte Feuchtigkeit des Sommers, der den Abschied nimmt. Oder ich. 

Was ist mit mir? Ich denke wieder an den Tod. Nicht der Sommer und nicht der Herbst sind Schuld daran. Verloren habe ich mich und bin aus dem Kalender gefallen, wie ein Polaroid-Bild, das ich mir vorgenommen hatte, jeden Tag abzureißen. Verschwunden in jemandem. Ich liebe, warum will ich dann sterben, um ihn nicht mehr sehen zu müssen. Tod als die einzige Möglichkeit, dem Schmerz zu entgehen. Tod als Erleichterung? Die Schwere, mit welcher er das Verliebtsein behängt hat, ist an den Wochentagen zu ertragen. Das Unzumutbare kommt immer am Freitag auf dem Weg nach Hause. Dann wird es tonnenschwer...

Ich sehe ihn und der Sommer in mir kommt hoch, das Fieber seines Rückblickes nimmt die Kraft und verwandelt mich entweder in sein willenloses Objekt oder zwingt zu völlig ungeahnten Möglichkeiten, in welche ich mich auch stürze... Oder gibt er mir die Kraft wieder? Der Kampf mit ihm um die Wärme des Sommers dauert bis in den Herbst hinein. Er gibt mir die Wärme und nimmt sie wieder weg. Aus dem Sommer formt er einen Herbstmantel um mich, der einerseits seine Wärme substituiert, um sie später aus mir aufzusaugen. Ein Blick nur, sein Blick fehlt gerade. Sein sommerlicher Blick, mit welchem er mich geküsst hatte, mit welchem er mich jedes Mal aus dem unsichtbaren Plastilin modelliert. Seine Hände, die alles von mir fanden, bis in den Schmerz. Wir sind im Krieg, im Krieg um die Liebe.

Seit Tagen sterbe ich an diesem Lied
Charles Aznavour "Une vie d'amour" (aus dem sowjetischen Film "Teheran 43")

... und auf Russisch von Aznavour, noch viel schöner...