31. Dezember 2010

Kuss

Also gut, das Neue Jahr, das Neue 2011, ja, es wird wunderschön sein! Das wünsche ich euch allen! Macht es aus eurem Leben! Macht es glücklich!

Ich kann nichts dafür, aber die folgende Musik, die beschallend aus der Werbung klingt, hat mich angesteckt und geht nicht so leicht weg, bis in das Neue Jahr hinein. Das Alte wird ausgezogen und in der seelischen Jungfräulichkeit des Kusses, wie in dem Video (ohne ein Twilight-Fan zu sein) schreite ich zumindest in das Neue Jahr ein:



Aus dem Brief des russischen Dichters Wladimir Majakovskij an Lilja Brik mit den zartesten Gedanken:

"Teures, geliebtes, bestialisch liebes Lilchen!
Nun wird mir niemand vorwerfen können, daß ich wenig lese, - ich lese die ganze Zeit Deinen Brief.
Ich weiß nicht, ob ich davon gebildet werde, aber froh bin ich schon.
Wenn ich dein Kläfferchen bin, dann bist Du, offengestanden, nicht zu beneiden, denn Dein Kläfferchen ist nicht viel wert:
seine Rippen kann man zählen, sein Fehl ist, natürlich, in Fetzen, und am roten Auge, eigens um Tränen abzuschütteln, hängt das räudige Ohr.
Naturforscher behaupten, daß Welpen immer so werden, wenn sie in fremde, lieblose Hände geraten.
Ich gehe nirgendwo aus.
Von den Frauen setze ich mich drei, vier Stühle weit - damit mir ihr Atem nichts antut.
Rette mich in die Verlagsarbeit. Ab neun in der Druckerei. Wir geben jetzt die "Futuristenzeitung" heraus.
Dank für das Notizbüchlein. Nebenbei: was das Bild betrifft, das Du mitnahmst, so haben wir uns mit Dodja dahingehend geeinigt, daß ich es Dir schenke.

Habe sofort in dein Merkbüchlein zwei Gedichte eingetragen. Das große - "Unser Marsch" - (das dir gefallen hat) schicke ich mit der Zeitung, und hier ist das winzige:


Frühling

Die Stadt zog aus ihre Winterklamotten,
Der Schnee löst sich auf in Spucke,
Der Frühling kommt wieder herausgekrochen
Wie ein Junker, schwatzhaft, meschugge,

(W. Majakowskij)



Das ist selbstverständlich nur der Anlauf.
Mehr als alles andere in der Welt möcht ich zu Dir. Verreist Du irgendwohin, ohne mich zu sehn, dann bist du bös.
Schreib, Kindlein.
Bleib gesund, mein lieber Sonnenschein!
Ich küsse Dich, Du Liebe, Gute, Schöne.

Dein Wolodja

(Moskau, vor dem 15. März 1918)

Die Nacktheit wird mich kleiden

In einem altertümlichen und nach dem Vergangenen der letzten Jahre riechenden Antiquariatsgeschäft entdeckte ich eine mich sehr ansprechende Dichterin, die sich von Nacktheit, wie auch ich, kleiden ließ. Ich erstickte fast in dem Geruch der alten Bücher, aber Lisa Grotz in ihrem Band "Bald sagst du bluten alle Felder" gab mir den fehlenden Atem:
Die Sehnsucht
ist ein großes,
wundes Tier.
Ich teile sie
mit den Verrückten,
mit den Kindern
und mit dir.
Sie ist die Sucht,
zu der ich mich bekennen will:
im Zittern,
im Verlangen.
Drum halt mich,
halt mich,
und ich werde still.
Ich werde ruhig
und deinen Namen flüstern
ohne Bangen.

November 1994




Ich trage dein Begehren
als einen Schmerz -
als eine Lust, an der
die Furcht sich bricht.

Ich sehe dein Gesicht:

ganz Hunger, Angst
und Sehnsucht,
die nicht fassbar ist.

Versprich mir nichts.

Dein Körper fühlt,
dein Glied erfindet mich.

Und ich vertrau' dir ganz:

ich sehe dein Gesicht.

Oktober 1994

Ein wenig Blues vom Feinsten:

Nebenan ist das Schicksal

Einmal schrieb mir jemand, dass "die Neugierde nach sexuellen Experimenten im fleischlichen Sinne irgendwann gesättigt sei und zugegeben, so neugierig wie die Protagonisten bei Houellebecq man nicht gewesen sein müsse. Der Reiz liege ab dann vielleicht eher im Verbotenen, oder im ganz Fremden, oder in wahrer Liebe (?), vielleicht in Angst, so wie eben bei Chéreaus "Intimacy", oder Truffauts "Frau von nebenan"."

Erst Jahre später schaute ich mir die "Die Frau nebenan" an und verstand den Schreibenden umso mehr... Die Filmmusik von Georges Delerue verzauberte mich in das Verhängnis herein... und in die wahre Liebe...



"(...) Truffaut (1932-1984) erweist sich damit auch in seinem vorletzten Film als ein Meister der dezidierten Beobachtung weit verbreiteter Vorstellungen in der bürgerlichen Gesellschaft, wobei sich der Film irgendeiner Art von Analyse oder Antwort in der Inszenierung selbst verweigert. Truffaut ist Erzähler, einer der größten modernen Geschichtenerzähler des 20. Jahrhunderts. Er weigerte sich, die Nähe zu seinen Akteuren, der man sich kaum entziehen kann, dramaturgisch zu zerstören. Nein, wir sind Bernard und Mathilde ganz nah, hautnah. Und er zwingt uns, wenn wir uns auf die Geschichte des Films einlassen, diese quälende Nähe zu spüren." weiter lesen

Während der Dreharbeiten wurde die Hauptdarstellerin Ardant zur Muse und Lebensgefährtin von François Truffaut. „François hat mir eine ganz neue Sicht auf das Leben geschenkt – und damit mein Dasein als Frau und als Schauspielerin völlig auf den Kopf gestellt“, sagte sie später.

Das Interview mit Fanny Ardant zum Film "Die Frau nebenan":