28. April 2010

Schimmel einer Nacht

Der beißende Schimmelgeruch einer feuchten Wand. Man möchte husten, diesen Geruch, den eigentlichen Gestank aus der Lunge raushusten, ausspucken und frische Luft einatmen. Aber man muss hier schlafen und ist den Pilzen ausgeliefert, sogar unter die Decke dringt es ein. Der tickende Kopfschmerz lauert einem unvorbereitet auf und lässt nicht los. Man hat das Gefühl, dass sogar die Ohren von dem Geruch befallen sind. Jemand in der benachbarten Wohnung duscht gerade. Das Wasser läuft geräuschvoll seinen Körper und die Fliesen entlang. Vielleicht ist der Nachbar der Verursacher dieser feuchten Wände, aber es ist der Regen, der durch das undichte Dach kommt. Man fühlt sich wie in einem anderen Jahrhundert, als es noch keine Elektrizität und keine Gasleitungen gab.

Irgendwann kommt ein Augenblick und man entscheidet sich, etwas über sich ergehen zu lassen, wie auch diesen Geruch, oder etwas dagegen zu unternehmen. Lange Zeit schrieb sie von der Liebe willenlos befallen, wie diese Wand vom Schimmel. Sie schrieb nicht so frei, wie sie wollen würde und wie sie war, da sie wusste, dass "er" es lesen würde. Suchte nach den Fehlern bei sich selbst, kroch, entschuldigte sich für nichts und wartete immer wieder. Das ganze Leben in Erwartung eines Wunders. Falls es die Seelenverwandtschaft je gegeben hat, so verkündete sie nun die außerordentliche Kündigung aus dem wichtigen Grunde. Sie wollte keinen Befall mehr, möchte die Freiheit des Herzens und der Gefühle erleben. Möchte keine Gespielin mehr sein, während sich derjenige Mann woanders vergnügt und die Wärme der anderen Frauen einatmet, sie aber immer warten lässt, worauf er selbst nicht weiß. Wieso hat sie ihm geholfen. Weil es vom Herzen kam, aus derjenigen Seele, die sie teilten. Der wichtige Kündigungsgrund ist: Sie kann nicht nur für ihn leben, sie möchte endlich erfahren, was es bedeutet, glücklich zu sein, geküsst zu werden und keine Schuldgefühle ihm gegenüber empfinden zu müssen. Sie möchte geschätzt sein, warme Worte hören, eine Umarmung fühlen. Wenn er sie wirklich liebt, so soll er ihr doch endlich wünschen, auch glücklich zu leben, und sie nicht mehr halten.

Leb wohl. Sie liebte so sehr. Lass sie gehen. Schenk ihr endlich die Freiheit.

Jacques Prevert
Der Garten

Abertausend Jahre Zeit
Fassen nicht
Die kleine Sekunde Ewigkeit
Da Du mich küsstest
Da ich dich küßte
Eines Morgens unterm Wintersonnenlicht
In einem Park zu Paris
Zu Paris
Auf dieser Erde
Die ein Stern ist.


Le jardin

Des milliers et des milliers d'années
Ne sauraient suffire
Pour dire
La petite seconde d'éternité
Oú tu m'as embrassé
Oú je t'ai embrassée
Un matin dans la lumière de l'hiver
Au parc Montsouris á Paris.
A Paris
Sur la terre
La terre qui est un astre.

(Danke für dieses Gedicht an A.)

22. April 2010

An Apollon

Das literarisch-musikalische Manifest des letzten halben Monats.

Oscar Peterson Trio "Manha de Carnaval / If" live at The Salle Pleyel Concert Hall Paris, France, October 5, 1978





* * *
Im Traum lachst du neben mir,

Du liest aus schmalen Büchern.

Nichts kann mir zarter sein, als du.

Nichts deiner lieben Lippen süßer.


So flehe ich den Traum an:
Bleib, möchte nicht aufwachen.
Bleib neben mir, trink dich dran satt -
Aus Worten meines Lachens.


Nie war das Warten auf den Brief

Solch einer Qual vergleichbar.

Zwei Wochen sind vergangen;
blass
,
Einsam wurde Himmel hier. Nur Schatten

Folgt mir treu, wie ein Gespenst,
Wenn ich im Schmerz einschlafe.
Wieso sind deine Worte fremd,
Wieso der Blick ermattet.

Nur dir gehöre ich. Das Herz
Schlägt nur für dich, du Liebe.

In deinen Armen schlaf' ich sanft,

Zu deinen Augen blickend.


Ann, 29. März 2010, früher Morgen




* * *
Dir ausgeliefert sein im Schlaf

Und wandern in Antike.

Du wärest mir der Apollon,

Ich - Daphne, schöne Nymphe.

Ann, 30. März 2010



Jakob Auer "Apollo und Daphne" (um 1688/90), Kunsthistorisches Museum Wien, Kunstkammer. Statuette. Elfenbein,
[Bild unter CC-Lizenz von
giulio (dottorpeni), Quelle]



Zur Geschichte von Apollon und Daphne:
"Als Apollon den Liebesgott Eros als schlechten Schütze verspottete, rächte sich dieser, indem er einen Liebespfeil mit einer goldenen Spitze auf ihn und einen mit bleiernen Spitze auf Daphne abschoss. Apollon verliebte sich unsterblich in Daphne, während diese, von einem genau das Gegenteil bewirkenden Pfeil Eros’ getroffen, für jene Liebschaft unempfänglich wurde. Als Apollon Daphne bedrängte, floh sie. Erschöpft von der Verfolgung Apollons flehte sie zu ihrem Vater Peneios, dass er ihre – den Apollon reizende – Gestalt wandeln möge. Daraufhin erstarrten ihre Glieder und sie verwandelte sich in einen Lorbeerbaum.
Der Lorbeer war Apollon seither heilig. Zum Gedenken an Daphne trug er einen Lorbeerkranz bzw. eine mit Lorbeer geschmückte Leier." Quelle
Doch der Verfolgende rennt, von den Fittichen Amors gefördert,
Schneller und gönnt nicht Rast, und dicht an der Fliehenden Rücken
Ist er gebeugt und behaucht im Nacken das fliegende Haupthaar.
Nun, da versagte die Kraft, erblaßte sie, und von der Mühsal
Flüchtigen Laufes erschöpft, die peneischen Wellen gewahrend,
Flehte sie: „Vater, ach hilf, wenn Macht euch Strömen gegeben!
Wandele diese Gestalt, darin zu sehr ich gefallen.“
Wie sie kaum es erfleht, faßt starrende Lähmung die Glieder,
Und mit geschmeidigem Bast umzieht sich der schwellende Busen.
Grünend erwachsen zu Laub die Haare, zu Ästen die Arme;
Festhängt, jüngst noch flink, ihr Fuß an trägem Gewurzel!
Wipfel verdeckt das Gesicht; nichts bleibt als die glänzende Schönheit.
So auch liebt sie der Gott. An den Stamm die Rechte gehalten,
Fühlt er, wie in der bergenden Rinde der Busen noch aufbebt,
Und mit den Armen die Äste, als wären es Glieder, umfangend,
Gibt er Küsse dem Holz. Doch entzieht sich das Holz auch den Küssen.
„Weil du“, sprach er sodann, „nicht mein kannst werden als Gattin,
Werde denn mein als Baum. Dich soll nun ständig die Leier,
Dich soll tragen das Haar, dich ständig der Köcher, o Lorbeer!
Latiums Führern gesellt sei du, wenn fröhliche Stimmen
Jubeln Triumph und zum Kapitol lang wallet der Festzug.
Treulicher Wächter zugleich den augustischen Pfosten in Zukunft,
Sollst du stehn vor dem Tor und inmitten die Eiche behüten.
Und wie jugendlich trägt mein Haupt frei wachsende Locken,
Halte du fort und fort die beständige Zierde des Laubes.“
Paean hatt es gesagt. Der Lorbeer nickte mit jungen
Zweigen dazu und schien wie ein Haupt zu bewegen den Wipfel.
[aus: Ovid; Werke in zwei Bänden, in der Bearbeitung von Liselot Huchthausen, Vers 540-565 © Aufbau-Verlag Berlin und Weimar 1968]

6. April 2010

Wenn sie lacht

Ein weiteres schönes Lied aus der Berliner TV Noir - Werkstatt. Es ist, als ob man ein wenig auch über mich singen würde...

Tex "Wenn sie lacht"


Im Saal steht ein Mädchen
riesen Lider rote Schuh
sie kann nachts nicht schlafen
sie sieht Gespenster
sie kämpft und sie dreht sich
keine Pause keine Ruh
oh es ist kalt
und regnet wenn sie weint


Aber oh wenn sie lacht
dann beten die Sterne und das Meer
und Weltraumpiloten kommen überall her
wenn sie lacht ist der Krieg vorbei
aber sie lacht nicht
sie wacht noch
sie denkt ihren Kopf
entzwei
Und sie ist immer noch so hungrig
warum ist die Welt so scheiß normal
sie würde nächtelang nicht rasten
sie würde verglühen
für einen Augenblick in echt
und sie wäscht längst nicht mehr in Unschuld
sie hat verraten und verkauft
und es ist immer noch so wenig
so zäh und so schwer
es ist häßlich und bitter wenn sie flucht


Aber oh wenn sie lacht
dann beten die Sterne und das Meer
und Monster auf Pfoten kommen überall her
wenn sie lacht ist der Krieg vorbei
jetzt ist nichts jetzt ist nachts
aber wartet bis sie lacht
dann beten die Sterne und das Meer
und Ägypter und Goten kommen überall her
wenn sie lacht ist der Krieg vorbei
jetzt ist nichts jetzt ist nachts
aber wartet bis sie lacht

Es ist nicht weit
es ist ein Keller und ein Strick
in Morpheus' Arme
und die Welt sinkt auf die Knie
spricht unter Tränen
DU BIST FREI
aber wenn du bleibst
wenn du scheinst

und oh wenn du lachst
dann beten die Sterne und das Meer
Genies und Idioten kommen überall her
wenn du lachst ist der Krieg vorbei
in der schwärzesten Nacht
kommt ein Licht
und kommt
mit Macht

4. April 2010

Ich war hier

Einfach wunderschön...

Alin Coen "Ich war hier"



Ich werde meine Hand tätowieren- ich lass los.
Ich will auch meinen Kopf formatieren- er wehrt sich bloß.
Und wenn ich glaub ich hab mich gefangen, dann kippt's auch schon, doch ich will nichts verlangen.
Es sieht zwar nicht nach Chancen aus, doch den Kurs den halt ich - volle Kraft voraus.

Ich schreib auf deine Mauer- hier die Tür.
Und ich renne fest dagegen, damit ich irgendetwas spür.
Und je mehr ich deine Nähe such, desto weiter rückst du fort.
Und obwohl ich mich dafür verfluch, werf ich die Hoffnung nicht ganz über Bord.

Die Lösung fehlt und ich überleg- ich muss ganz weit weg,
also mach ich mir den Plan und beweg mich nicht vom Fleck.
Und wenn ich glaub ich habs überwunden, wird gleich neuer Anlass erfunden.
Ich versuchs, schau her!
Schon wieder ein Versuch mehr.

Ich schreib auf deine Mauer, dies ist der Weg.
Und ich kratze an den Fugen, damit sich irgendetwas regt.
Und je länger ich auf der Stelle trete, desto mehr verliert's an Sinn.
Weil es nicht mal einen Schritt weiter geht, ich verliere mich bloß darin.

So sehr ich es bedauer, schaff ich's nicht bis zu dir.
Und ich schreib auf deine Mauer 'ich war hier' .
Und je weiter ich mich dann entfern', desto leichter fällt's, zu verstehen.
Ich weiß du magst mich auch sehr gern mit etwas Abstand.
Versehen.