Noch einige Momente meiner Restzeit in Berlin im Spätsommer.
Bild: Berlin, Fernsehturm
Berlin hinterließ auf mich zu meinem begeisterten Eindruck, den ich als Touristin empfand, auch ein Gefühl der Ratlosigkeit, wenn die Gebäude im Regierungsviertel überhaupt nicht größenmäßig zu der Stadt gepasst hatten. Das waren gigantische Bauten, die so aussahen, als ob sie in der Wüste stehen würden. Besonders der Hauptbahnhof. Er steht tatsächlich, wie in der Wüste, denn um ihn herum ist alles leer, auch wenn es modern und schön ist. Leere Moderne... Spontan kam aus mir die Phrase: „Wo sind denn diese schönen kleinen deutschen putzigen Häuschen?“ Mein Begleiter antwortete mit Sarkasmus, dass als es kleine putzige Häuschen gab, benahmen sich die Deutschen in Europa, wie Giganten der Todesmaschinerie. Vielleicht würde es jetzt ihnen psychologisch helfen, wenn sie in diesen von Größenwahnsinn getriebenen Gebäuden regiert werden, als Ausgleich, und sie würden nie zu ihrer Vergangenheit neigen… Interessante Überlegungen…
Obwohl der Größenwahnsinn hatte auch zu der Zeit des 3. Reiches eine Rolle in der Architektur gespielt. Ich lasse jetzt dies jedoch beiseite und widme mich einfach der Stadt.
Bild: Blick zum Brandenburger Tor
Bild: Die Parlamentsbibliothek
Ja, ich habe es getan, ich ging zum
Berliner Zoo. Meine Freundin nahm mir das Wort ab, dass ich nicht zurück kommen dürfte, wenn ich ihr nicht das Bild von
Knut mitbringe. Gut, ich gebe es zu, ich mochte die Braunbären noch bevor es Knut gab, und so lernte ich auch andere Artgenossen kennen. Das Traurigste waren die Affen. Es gab da manche, die mit sehr ähnlich dem menschlichen Ausdruck eine unglaubliche Traurigkeit hinter der Glasscheibe in ihren Augen hatten. Ich konnte sie nicht länger anschauen, ohne dass mein Herz sich zusammen knotete.
Später am selben Tage ging ich endlich dahin, was eins der Hauptziele meiner Reise war. Ich wollte die
französischen Impressionisten erleben, in der Neuen Galerie. Es war wunderschön. Minutenlang stand ich mit dem angehaltenen Atem vor den Bildnissen von Monet und sah das Wasser bei ihm tatsächlich schimmern und sich bewegend; ich war fasziniert von einem
"Stillleben mit Äpfeln und Primeln" von Cezanne und auch von den blauen
„Schwertlilien“ Van Goghs. Als ich durch die ganze Ausstellung bereits geschlendert war, kehrte ich nochmals um, um vor diesen auserwählten Bildern nochmals zu stehen und sie in mein Gedächtnis einzuprägen. Dies war unbeschreiblich.
An einem der Tage ging ich zum Treptower Park zum
Sowjetischen Ehrenmal. Da liegen die Überreste von 7.000 sowjetischen Soldaten, die in den Kämpfen um Berlin gefallen waren. Als ich zwischen zwei Monumenten der knienden Soldaten durchkam, schaute ich direkt zum Denkmal des sowjetischen Soldaten mit dem kleinen geretteten deutschen Mädchen auf dem Arm. Man sah es bereits im Gehen dahin, erst jetzt aber eröffnete sich die ganze erdrückende Größe. Es gab da auch andere Besucher. Ich erkannte russische, auch jüdische Gesichter, die russische Sprache. Natürlich war es ein zweispuriges Gefühl, als ich die Steintreppe nach unten kam und an den Denkmal-Sarkophagen vorbeiging: Die letzten beinhalteten zusammen mit den im Stein abgebildeten Motiven des Großen Vaterländischen Krieges Zitate von Stalin. Ich war ganz still, ging weiter, an jedem vorbei, bis ich zu dem Denkmal-Koloss kam. Ich empfand aber trotz Stalin Traurigkeit und meine innere Nähe zu diesem Ort. Vielleicht wegen meines Vaters, vielleicht wegen aller Opfer, wegen des Landes, aus dem ich stamme. Ich suchte nach dem Friedhof und fand keins. Erst später, als ich bereits fort war, habe ich gelesen, dass ich doch die ganze Zeit am Friedhof war. Denn die Überreste fanden ihre Ruhe in sieben Massengräbern, die heute mit grünem Gras oben bewohnt sind und oben drauf die Lorbeer-Kränze sie schmücken.
Bild: Die Besucher schauen sich die Denkmal-Sarkophage an
Ein anderes Denkmal, das ich zum ersten Mal betrachtete, war das
Denkmal für die ermordeten Juden Europas. Es geschah ganz unerwartet für mich, als es vor mir erschien. Es war bereits ein später Abend und ich wusste nicht so genau, wo ich mich in der Finsternis befand. Auf einmal sah ich es vor mir und blieb einfach stehen. Tagsüber macht es bestimmt auch einen nicht so düsteren Eindruck, aber nachts befand ich mich auf einem Friedhof. Es ist auch nichts anderes als Friedhof. Ich könnte keines der Steine berühren, könnte auch nicht dazwischen gehen, denn ich empfand auf einmal einen rasenden Schmerz in der Brust und musste weg, um genug Luft zu bekommen, obwohl ich unter freiem Himmel war. Ich weiß, ich bin anders, was es angeht.
Im Gedächtnis ist mir noch natürlich der Besuch im
Museum für Naturkunde geblieben mit dem größten in der Welt
Dinosaurier-Skelett eines Brachiosaurus brancai. Es gab sehr viele Kinder, die mit den offenen Mündern da herumstanden. Mir haben die Computeranimationen und Erklärungen sehr gut gefallen, da sie das Leben zu den Zeiten der lebenden Dinosaurier beschrieben und sie dadurch zum Leben erweckten. Man konnte z. B. sehen, wie schnell sich die Saurier im Vergleich zu einem Menschen bewegt und was sie gefressen hatten. Es war unerwartet süß und überraschend, dass kleine Jungs, die noch nicht richtig sprechen konnten, das Wort "Brachiosaurus" ohne Probleme ausspuckten.
Das letzte und das schönste Ereignis, das bei mir immer noch eine schöne Erinnerung hervorruft, war das unerwartete Tanzen unter freiem Himmel an der Spree. Ich ging durch die Straße und hörte auf einmal Tangoklänge, kam näher, und mir eröffnete sich etwas Fabelhaftes. Ich schaute nach unten, zum Ufer; in einer Freiluft-Bar, zugänglich den Augen aller Vorbeigehenden, aller Passanten, bewegten sich die Paare zum
Tango… Ich stand wie verzaubert da. Am nächsten Tag nahm ich Abschied von Berlin.
Bilder: W.L.