3. Februar 2007

Geheime Grenzen

Deutsche Übersetzungen von Gedichten der wundervollen russischen Dichterin Anna Achmatova (1889-1966)

N. W. N.
Geheime Grenzen gibt's im menschlich engsten Bund;
Verliebtheit, Leidenschaft kann da nicht weiterdringen -
Mag schaurig lautlos auch verschmelzen Mund mit Mund,
Und mag vor Liebe auch das Herz zerspringen.
Auch Freundschaft ist da machtlos, und die Zeit
Selbst jahrelanger hoher Glücksgefühle,
Wenn frei die Seele bleibt, und wenn sie scheut
Das lange Siechtum süßer Sinnenschwüle.
Wahnsinnig sind, die sie erstreben, und die sie
Erreichten, müssen krank vor Schwermut enden.
Nun hast du wohl verstanden, warum nie
Mein Herz geklopft hat unter deinen Händen.
1915
(Übersetzt von Rolf-Dietrich Keil
Literatur: Russische Lyrik. Gedichte aus drei Jahrhunderten. Ausgewählt und eingeleitet von Efim Etkind; Serie Piper 1987)


* * *
Herz ist nicht an Herz gekettet,
Wenn du möchtest – kannst du gehn.
Wie auf Rosen ist gebettet,
Der da frei geht seinen Weg.

Kein Geheule, keine Klagen,
Glücklich werd ich niemals sein!
Küss mich nicht, bin müd, verzagt,
Mich küsst nur der Tod allein.

Quälte mich so lange Tage
Mit dem Winter, der so weiß...
Warum bist du besser, sag es,
Als der Mann, der mir verheißen.
Frühling 1911


***
Lebst du noch? Gingst du von hinnen?
Find' ich dich noch in der Welt?
Oder muß ich abends sinnen,
ob der Tod dich schon gefällt?
Dir nur gilt mein schlaflos Wachen,
dir nur mein Gebet im Harm,
du nur kannst sie neu entfachen,
meiner Verse weißen Schwarm.
Keiner, der mich je so schmerzte,
keiner, der so tief vertraut,
auch nicht der, der lang mich herzte,
dann mich nie mehr angeschaut.
1915
(Übersetzt von Kay Borowsky
Literatur: Russische Lyrik. Gedichte aus drei Jahrhunderten. Ausgewählt und eingeleitet von Efim Etkind; Serie Piper 1987)


* * *
Du bist verrückt! Soll dir gehorsam sein?
Gehorsam bin ich nur dem HERRN allein.
Ich mag nicht zittern, ängstliche Bedrängnis,
Der Mann ist mir ein Henker und sein Haus Gefängnis.

Sieh es doch ein! Ich kam von ganz allein;
Dezemberwinde heulten, durcheilten Feld und Rain,
Es war so warm und hell in deiner Enge,
Weil man vorm Fenster Finsternis verhängte.

So schlägt ans Fensterglas der Vogel immer wieder
Mit ganzem Körper, weil der Winter kalt und feucht,
Und Blut befleckt sein weißliches Gefieder.

Doch jetzt ist mir so ruhig und so leicht.
Leb wohl, mein stiller Freund, bin dir auf ewig gut
Für die Erlaubnis, dass die Fremde in deinem Haus geruht.

August 1921
Carkoe Selo


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