Peter Härtling (*1933, Chemnitz)
ZWEI VERSUCHE, MIT MEINEN KINDERN
ZU
REDEN
I
Ich wollte dir erzählen,
mein Sohn,
im Zorn
über deine scheinbare
Gleichgültigkeit,
über die eingeredete
Fremde
zwischen uns,
wollte ich dir erzählen,
zum Beispiel,
von meinem
Krieg,
von meinem Hunger,
von meiner Armut,
wie ich geschunden wurde,
wie ich nicht weiterwußte,
wollte dir
deine Unkenntnis
vorwerfen,
deinen Frieden. .
deine Sattheit,
deinen Wohlstand,
die auch
die meinen sind,
und während ich schon
redete,
dich mit Erinnerung
prügelte,
begriff ich, daß
ich dir nichts beibrächte
als Haß und Angst,
Neid und Enge,
Feigheit und Mord.
Meine Erinnerung ist
nicht die deine.
Wie soll ich
dir das Unverständliche erklären?
So reden wir
über Dinge,
die wir kennen.
Nur wünsche ich
insgeheim,
Sohn, daß du, Sohn,
deinem Sohn
deine Erinnerung
nicht verchweigen mußt,
daß du
einfach sagen kannst:
Mach es so
wie ich.
versuche
zu kämpfen,
zu leben,
zu lieben
wie ich,
Sohn.
II
Ich wollte dir erzählen,
meine Tochter,
von meiner ersten
Liebe,
von dem Schrecken
einer
fremden Haut,
von trockenen
suchenden
allmählich
feucht werdenden
Lippen,
vom Atem,
der einem
ausgeht,
von Wörtern,
die Luftwurzeln haben,
von der Sehnsucht,
für einen Augenblick
so zusammen
in der Mitte der Erde,
der Kugel Erde,
ruhen zu können,
der Kern,
um den alles
sich dreht.
Und am Ende.
Tochter,
roch ich unsern Schweiß,
die Mühe unserer
Liebe,
wie den von Fremden
und wußte.
daß Glück
so fremd riecht.
Du sollst es auch wissen,
Tochter.
[Quelle]
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