8. August 2013

Vater

Aufgewühlt. Ziemlich aufgewühlt bin ich. Kürzlich ist das Buch „Lebenswege und Jahrhundertgeschichten: Erinnerungen jüdischer Zuwanderer aus der ehemaligen Sowjetunion in Nordrhein-Westfalen“ erschienen (in zwei Sprachen: Russisch und Deutsch). Ich halte es gerade auf meinen Knien. Eine der vierzig Geschichten in diesem großen und ergreifenden Bildband ist die Geschichte meines Vaters. (Jedem der Erzählenden sind 12 Seiten gewidmet.) Diejenige von meinem Vater endet mit seinen Worten zum Endpunkt der sowjetischen Repressionen: „1956 wurde ich aus dem Lager entlassen, aber erst 1987 rehabilitiert. Ich kam einmal nach Hause und wusste schon, dass ein Schreiben vom Militärkollegium des Obersten Gerichts eintreffen muss. Ich öffnete den Umschlag und las es schnell durch, unten sah ich „rehabilitiert“. Ich begann laut aufzuheulen. Und meine achtjährige Tochter fragte leise: „Papa, warum weinst du?“ Ich sagte: „Tochter, 36 Jahre und zwei Monate. Mir wurden 36 Lebensjahre gestohlen.“


"Seit Beginn der 1990er Jahre haben über 200.000 Menschen jüdischer Herkunft die frühere Sowjetunion verlassen, um nach Deutschland einzuwandern. Zehntausende kamen nach Nordrhein-Westfalen und haben dort die jüdischen Gemeinden auf unverhoffte Weise belebt. Vor allem die älteren jüdischen Zuwanderer brachten vielfältige Erinnerungen und historische Erfahrungen mit nach Deutschland. Sie waren im sowjetischen Regime aufgewachsen, haben unter dem Stalinismus gelitten – und den Krieg und nationalsozialistischen Völkermord mit Glück überlebt. Im vorliegenden Buch erzählen 40 dieser Menschen aus ihrem Leben, von den Zeiten nach der Russischen Revolution bis zu den Erfahrungen in Deutschland heute. Ihre Lebensgeschichten stellen einen wichtigen Beitrag dar, nicht nur zur jüdischen Geschichte, sondern zur Geschichte eines ganzen Jahrhunderts." (Aus der Buchbeschreibung)

Vor einem Jahr schrieb ich, was Anfang August für meinen Vater und folglich auch für mich bedeutet, welche tragische und gleichzeitig lebenstragende Rolle dabei eine so still und heimatlich auf mich wirkende Sonnenblume spielt. Ich suchte nach Heimat (hier).

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