30. Juli 2012

Wenn ich aus dem Sommer nicht zurückkehre


Wie sauer das Fenster schmeckte,
Als ich an ihm fein festgeklebt
Den Regen eines Abends trinken wollte,
Der an der andren Seite Spuren feuchte
An meiner fantasierten Hand befolgte.
In Durst verpackt, in Hunger auserkoren,
Stand ich und staunte dem Stern.

Wer bist du, der mich jeden Abend
Mit seinem Licht besorgt verstreicht.
Was bist du mir, der mich so fest im Griff
Seit  Nächten meines Bettes schweigsam quält
Und mit der Kälte einsam, sanft bestraft.

Wie eisig frieren deine Silben,
Wie feurig scheint dein junger Hass.
Ich liebe dich in Stille, nur für mich und Sterne,
Die du mir nie mehr schenken magst.

30. Juli 2012, abends


Gerade gibt es den Vorleser im Ersten und ich muss an dich denken… Würdest du mit mir sprechen, würde ich dir erzählen, dass vor 32 Jahren auch die Olympischen Spiele angefangen hatten, in Moskau. Da warst du noch gar nicht geboren. Zu jener Zeit starb auch der großartige Poet, Sänger und Schauspieler Vladimir Vysockij, im Alter von 42 Jahren. Ein berührender Film erzählt über ihn: „Gehe ich in diesen Sommer fort“. Ich würde auch am liebsten in den Sommer gehen und nicht mehr zurückkehren...

28. Juli 2012

Verrückt in den Sommer

Gestern war mein letzter Tag in der Redaktion. Das große Warten hat angefangen. Was tun?

Schlafen, lesen, atmen lernen, wieder. Schlafen, lesen, träumen lernen, wieder, mit Musik im Ohr spazieren, bis ans Ende der Welt - des unsichtbaren Mondes und man die Füße nicht mehr spüren kann. Schlafen im Gras unter den Sternen, lesen bis der Morgenfrüh mich weckt, leben lernen, wieder. Nicht leise sein. Mich mit den Blumen einreiben. Mit dem Sommer in den Gerüchen einhergehen! Lachen.

Zu den Büchern, die gelesen werden, zählen unter anderem diese hier: Ludwig von Mises "Wom Wert der besseren Ideen. Sechs Vorlesungen über Wirtschaft und Politik", Milton Friedman "Kapitalismus und Freiheit", Andre Gorz "Brief an D.", wieder Mascha Kaleko "Die paar leuchtenden Jahre", Sandor Marai "Die Glut".

Bevor der Zug mich heimfährt, lasse ich hier einige Gaben, die mir zuteil wurden und die mich in der nächsten Zeit begleiten werden.

Zunächst möchte ich den wunderbaren amerikanischen Historiker und Strategiker Edward Luttwak empfehlen, dessen brillanter Humor und Verstand mich beeindrucken. 
"Edward Luttwak is a rare bird whose peripatetic life and work are the envy of academics and spies alike. A well-built man who looks like he is in his mid-50s (he turns 70 next year), Luttwak—who was born in 1942 to a wealthy Jewish family in Arad, Romania, and educated in Italy and England—speaks with a resonant European accent that conveys equal measures of authority, curiosity, egomania, bluster, impatience, and good humor. He is a senior associate at the Center for Strategic and International Studies at Georgetown University, and he published his first book, Coup d’État: A Practical Handbook, at the age of 26. Over the past 40 years, he has made provocative and often deeply original contributions to multiple academic fields, including military strategy, Roman history, Byzantine history, and economics. He owns a large eco-friendly ranch in Bolivia and can recite poetry and talk politics in eight languages, a skill that he displayed during a recent four-hour conversation at his house, located on a quiet street in Chevy Chase, Md., by taking phone calls in Italian, Spanish, Korean, and Chinese, during which I wandered off to the porch, where I sat and talked with his lovely Israeli-born wife, Dalya Luttwak, a sculptor."
Fragen an ihn:  

"There have been many different explanations given over the past 10 years for the strength of the American-Israeli relationship, ranging from the idea that Israel has the best and most immediately deployable army in the Middle East, to the idea that a small cabal of wealthy and influential Jews has hijacked American foreign policy. 

You mean the Z.O.G.? The Zionist Occupied Government?

Yes.

Personally, from an emotional point of view, myself, as me, I prefer the Z.O.G. explanation above all others. I love the idea that the Zionists have sufficient power to actually occupy America, and through America to basically run the world. I love the idea of being a member of a secretive and powerful cabal. If you put my name Luttwak together with Perle and Wolfowitz and you search the Internet, you will get this little list of people who run the American government and the world, and I’m on it. I love that."
Lest unbedingt weiter seine Unterhaltung zum Arabischen Frühling, Russland, Osama bin Laden und Israel: Q&A: Edward Luttwak


Poesie

Was war mit Poesie? Sie hören, sie mit dem Herzen eins schlagen lassen, lesen und schreiben.

Bei der Verleihung des Ludwig-Börne-Preises 2007 an Henryk M. Broder  hat er Folgendes in seiner Dankesrede in der Paulskirche vorgetragen:
"Die Frage, ob ich verrückt bin oder die anderen, werden wir heute nicht klären können, sie muss offen bleiben, vorläufig. Ich weiß nur, dass ich nicht der Einzige bin, der sie sich stellt. Jemand, dem ich viel verdanke, bei dem ich viel gelernt und einiges geklaut habe, hat sie sich immer wieder gestellt: der Geschichtenerzähler und Kabarettist Hanns Dieter Hüsch, das Schwarze Schaf vom Niederrhein. Hüsch war, ohne selbst den Anspruch zu erheben, ein Philosoph oder, wie man auf Jiddisch sagen würde: a Mensch. Er hat von der “Solidarität der Einzelidioten” gesprochen und viele wunderbare Texte geschrieben, darunter einen, der in meinem Kopf rumort, seit ich ihn das erste Mal gehört habe. Erlauben Sie mir, als Verbeugung vor einem großen Meister der Sprache Ihnen diesen Text vorzulesen:

Ich sing für die Verrückten
Die seitlich Umgeknickten
Die eines Tags nach vorne fallen
Und unbemerkt von allen
An ihrem Tisch in Küchen sitzen
Und keiner Weltanschauung nützen
Die tagelang durch Städte streifen
Und die Geschichte nicht begreifen

Die sich vom Kirchturm stürzen
Die Welt noch mit Gelächter würzen
Und für den Tod beizeiten
Sich selbst die Glocken läuten
Die mit den Zügen sich beeilen
Um nirgendwo zu lang zu weilen
Die jeden Abschied aus der Nähe kennen
Weil sie das Leben Abschied nennen
Die auf den Schiffen sich verdingen
Und mit den Kindern Lieder singen
Die suchen und die niemals finden
Und nachts vom Erdboden verschwinden

Die Wärter stehen schon bereit mit Jacken
Um werkgerecht die Irrenden zu packen
Die freundlich auf den Dächern springen
Für diese Leute will ich singen
Die in den großen Wüsten sterben
 
Den Schädel längst schon voller Scherben
Der Sand verwischt bald alle Spuren
Das Nichts läuft schon auf vollen Touren
Die sich durchs rohe Dickicht schieben
Vom Wahnsinn wund und krank gerieben
Die durch den Urwald aller Seelen blicken
Den ganzen Schwindel auf dem Rücken
Ich sing für die Verrückten
Die seitlich Umgeknickten
Die eines Tags nach vorne fallen
Und unbemerkt von allen
Sich aus der Schöpfung schleichen
Weil Trost und Kraft nicht reichen
Und einfach die Geschichte überspringen
Für diese Leute will ich singen.
Hanns Dieter, ich danke dir. Und ich danke Ihnen, dass Sie mir zugehört haben." Quelle


Ohne Musik sein? Nein!




Danke an jemanden für viele dieser wunderbaren Dinge.

27. Juli 2012

Weder Heimat noch Liebe


Weder Heimat noch Liebe
Weder Hunger noch Schlaf
Weder Freunde noch Ruhe
Weder Zukunft noch Kraft
Weder Zartheit noch Blicke
Weder Küsse noch sanft
Kann nicht atmen, ertrinke.
Gehe unter in Flüssen
Weder schwimmen noch treiben
Bin am Boden verschlammt.
Wie viel Hoffnung ertragen
Wie viel Nacktheit von mir
Nur allein, ganz auf ewig?
Die Sekunden verschluckend
Mein Herz tickt gegen Leben
Ich bin es, siehst du nicht?

25. Juli 2012


Liebe, mit den Ausschnitten aus „Zabriskie Point“ von Michelangelo Antonioni.

24. Juli 2012

Keine Schönheit


Keine Schönheit

Nicht schlafen nachts.
Nicht denken auch tagsüber.
Ich falle, bete ohne jedes Wort.
Beschmutzt mit Schmerz,
Bedacht mit Sorgen.
Ohne Wärme, ohne Reue.
Ich steige singend zu den Träumen,
Geräuschlos falle in ihr Loch.

Hebe mich hoch aus meinen Seen,
Zeuge mich aus der trüben Not.
Nimm deine Silben, meine Qualen,
Küss meine Adern hinter Apostroph.
Nein, keine Schönheit haben Tränen.
Oh gar nicht. Hörst du. Gar nicht sie.
Nein, auch der Schmerz im Bauch -
... Der Verlobte.
Denn du bist fort -
Nicht tot. Das bin nur ich.

24. Juli 2012

10. Juli 2012

Atme mich ein

Atme mich ein,
Den Himmel mit dem Meer vereinen.
Wenn sie zum Donnern kommen,
Stirbt die Last.
Wenn du der Himmel bist,
Bin ich die Erde, jene weiche.
Wenn du zur See zerfließt,
Bin ich dein Ufer, schwimme heim.

Wenn du mich küssen wirst,
Halt mir den Atem.
Nimm mich, wirf gegen harte Wand.
An deinen Lippen schmecke ich den Sommer.
Und die Nelken.
Ich kann mich noch an den Geschmack erinnern.
Es riecht, verlangt nach Zartheit roh, nicht rar.

Atme mich ein, Du Juli, Du verdammter.
Du, der die Schönheit mir absprach.
Ich könnte sagen, dass ich deine Worte hasse.
Ich könnte aber sagen: net, ljublju tebja.

Abend, 09. Juli 2012


Heute hat mich etwas berührt... 
Ingeborg Bachmann ist von unbeschreiblicher Bedeutung für mich. Meine Lieblingsdichterin. Ihre Gedichte, ihr Briefwechsel mit Paul Celan und ihr Roman "Malina" sind in meinem Herzen eingeprägt. Heute habe ich erfahren, dass eine in Russland geborene Lyrikerin und Schriftstellerin Olga Martynova den diesjährigen Ingeborg-Bachmann-Preis erhalten hatte. Wie berührend ist das für mich. Als ich mehr über Martynova las, fühlte ich sie auf einmal so nah. Ihre Geschichte, mit der sie gewonnen hatte, erinnerte mich an etwas und ich dachte nach. Ich bin aufgewühlt in mir und würde so gerne es dir erzählen. Hörst du? Dass sie in Leningrad aufgewachsen ist und jetzt in Frankfurt lebt. Dass ihre Geschichte von einem Jungen handelt, der seine Gefühle und Posie in den Ferien entdeckt. Dass Martynova mit einem Poeten und Schriftsteller lebt, ebenfalls einem russisch-jüdischen, und sie ein glückliches Schriftsteller-Paar sind. Sie haben einen Sohn in Frankfurt jüdisch erzogen. 
“Die neue Bachmann-Preisträgerin überzeugte mit dem Text „Ich werde sagen: Hi!“, den Juror Paul Jandl als „Geburt eines Dichters durch die Erotik“ beschrieb. Jurorin Daniela Strigl freute sich über den „hintersinnigen, anarchischen Witz“ in der Erzählung, die Kritikerin Meike Feßmann lobte den Beitrag als „souveränen und luftigen“ Text. Die 50-jährige Autorin schildert das doppelte Erwachen ihres jungen Protagonisten während der Ferien – Dichtung und Mädchen ziehen ihn gleichermaßen an. Die Jury beeindruckten vor allem kunst- und humorvoll eingeflochtene kulturgeschichtliche Bezüge.” [Quelle]
Ihren Text „Ich werde sagen: Hi!“ kann man im Volltext hier nachlesen. 

Auf Deutschlandradio Kultur gibt es ein wunderbares Interview mit der Preisträgerin. Sie erklärt, Aufgabe der Literatur sei es, die Sprache neu zu erschaffen, um das Denken zu sensibilisieren. In der “Jüdischen Allgemeinen” gab es Anfang des Jahres auch ein sehr interessantes Gespräch “Ein Paar Autoren” mit Olga Martynova und ihrem Mann, dem Dichter und Schriftsteller Oleg Jurjew. 
"Glückliche und gleichermaßen erfolgreiche Schriftstellerpaare sind selten. Martynova und Jurjew sind ein angenehm uneitles Duo, zurückhaltende Naturelle, zu Beginn freundlich reserviert – wer schreibt, bleibt wachsam, wenn er selbst betrachtet und beschrieben werden soll. Jurjew ist der Typus des intellektuellen Schriftstellers, Traditionalist und Neuschöpfer zugleich. Mit seinem Roman Die russische Fracht (2009) verlangt er seinen Lesern einiges ab." weiter lesen
Ich fand ein Gedicht von Martynova auf Russisch und bin etwas stumm geworden...
Памяти Ани Коробовой

И вышла голая душа

в поля, в леса,
шурша неслышною травой,
и колкий иней в облаках
над поседевшею Невой,
и птичий всхлип в садах.

С иголочки, куда ни глянь,

одета зимняя земля,
такие новые поля
и непривычные леса,
и света сильная рука

тебя бросает в облака.

[Quelle]

Mehr über Ingeborg Bachmann und ihre Lyrik: Ekstase der Unmöglichkeit

3. Juli 2012

Bist du meine Heimat?


Wenn Sonnenblumen nicht zu einem Blumenstrauß zusammengeschnitten werden, sie man aber auf einem Feld als ein Meer betrachten könnte, wäre ich dann vielleicht zu Hause? Sie winken dem Wind mit den schweren Köpfen und fragen sich gewiss, was aus ihren Kindern – den Kernen wird. 

Die Sonnenblume hat für mich eine besondere Bedeutung. Immer im August denke ich daran. Mein Vater war zwanzig, ein junger sowjetischer Jurastudent, in die Armee einberufen, kurz bevor der Krieg ausbrach.  Der sechste August `41 hat sein Leben verändert.  Schwer verwundet verbrachte er  zwei Tage ohne jegliche Hilfe auf einem ukrainischen Sonnenblumenfeld liegend und kriechend… Er hat versucht, die schweren Regentropfen von den großen Sonnenblumenblättern zu trinken. Zu bitter waren sie aber. Diese Bitterkeit hat er für sein Leben lang im Gedächtnis behalten. Umso lieber ist ihm diese Blume für die Ewigkeit geblieben und ich ihr womöglich sogar danke, dass sie meinen Vater damals auf ihre Art beschützt hatte. Auch wenn es erst der Anfang der Hölle war… Hätte ich das alles in seinem Alter überlebt? Wie selbstverständlich ist mir heute die Gesellschaft, in der ich lebe, die Freude am Leben, meine Umgebung, junge Späße, kein Tod. Und damals? Was wäre damals gewesen?

Auch in dem Film „Alles ist erleuchtet“ ("Everything is illuminated") werden die ukrainischen Sonnenblumen zum Inbegriff des Nahen, der Heimat.


Was ist also Rodina (russ. Wort für Heimat)? Etwas, was mich mit den Eltern verbindet, wie diese Blumen? Oder ist es etwas Eigenständiges, was nur für mich, die bereits kein kleines Kind mehr ist, da ist? Wohin ich auch gehen würde, würde es mich erwarten? Ist es überhaupt an einen Ort gebunden? Oder eher an eine Erinnerung? Ist es die Literatur, die Worte, die mich überall auffangen und mich umarmen, wenn ich einsam bin? Ist es die Muttersprache oder welch eine von vielen, die noch kommen werden?
Wird es irgendwann ein Mensch sein, der zu mir sagen wird: Du bist meine Heimat?..

Die gesungenen Verse in dem Filmausschnitt sind niemandem anderen als dem großen russischen Dichter Alexander Sergeevitsch Puschkin entliehen, seinem bekanntesten Gedicht, gerichtet an Anna Petrovna Kern.
In hoffnungslosem Leid gefangen,
Im Wirbelwind der lauten Welt
Erklang dein zartes Stimmchen lange,
Im Traum erschien dein zartes Bild.

Ein Augenblick, ein wunderschöner:
Vor meine Augen tratest du,
Erscheinung im Vorüberschweben,
Der reinen Schönheit Genius.


Das vollständige Gedicht ist hier zu lesen unter "An ***".