10. September 2010

Scheherazade

Bild: The Spade Girl (1928, from the Library of Congress) via flickr



Agi Mishol "שחרזאדה"
Scheherazade

Ich bin es, Scheherazade der Gedichte,
und ich weiß nicht, wie viel Zeit mir noch geblieben
zwischen Einatmen und Ausatmen, Leben und Tod.

Eine seltsame Strafe legten sie mir auf, die Götter:
Je mehr ich mich enthülle, um so weniger werde ich,
und mit jeder Hand, ausgestreckt zu meinem Gesicht, deinem Gesicht,
schwindet mein ewiges Leben
in deinem Herzen.

Sultan des Redens,
sieh, wie ich mich hier in den Schleiern verheddere.


Ich möchte nicht erstarren, unberührt, auf einem Sockel
in der Frauengalerie deines Harems
mit all dem dargebrachten inniglichen Flüstern:
auch wenn ich strahle wie der Morgenstern,
was habe ich davon.

Genug mit dem Hin und Her der Maus zwischen deinen Fingern,
genug gesungen auf den leisen Tasten des PC’s,
was zählt der Verstand ohne Liebe,
und was zählen die Augen ohne einen rechten Klick.

Lass ab vom Schwarm deines schwirrenden Kopfs
und ruhe in mir,
die Sehnsucht (sorge dich nicht) endet niemals,
und die Seele, wie ein Glühwürmchen
flackert, flackert.

Meine schönsten Gedichte schreibe ich,
wenn ich die Wunden der kleinen Pfeile lecke, allein.
Und wenn dereinst ich sterbe in deinem Herzen,
dem nach Durst dürstenden Herzen
– wirst du in ihnen erwachen
zu ewigem Leben.

Übersetzt von Lydia Böhmer


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