26. Februar 2010

L'Éternité

""Ich müsste meine eigene Hölle haben für den Zorn, meine Hölle für den Hochmut, - und die Hölle der Zärtlichkeit; ein ganzes Konzert von Höllen." - Une Saison en Enfer. Darin: Nuit de l'Enfer"(A. Rimbaud)

Arthur Rimbaud (1854 - 1891)


L'Éternité

Elle est retrouvée.
Quoi? – L'Èternité.
C'est la mer allée
Avec le soleil.

Âme sentinelle,
Murmurons l'aveu
De la nuit si nulle
Et du jour en feu.

Des humains suffrages,
Des communs élans
Là tu te dégages
Et voles selon.

Puisque de vous seules,
Braises de satin,
Le Devoir s'exhale
Sans qu'on dise: enfin.

Là pas d'esperance,
Nul orietur.
Science avec patience,
Le supplice est sûr.

Elle est retrouvée.
Quoi? – L'Èternité.
C'est la mer allée
Avec le soleil.

(Mai 1872)



Die Ewigkeit


Sie ist neu entdeckt.
Was? – Die Ewigkeit.
Meer, das seinen Weg
Mit der Sonne geht.

Seele ist erwacht,
Flüsternd wird beklagt:
Nichtig ist die Nacht,
Feuer ist der Tag.

Menschlicher Entscheid,
Was Gemeinden frommt,
Mach dich davon frei,
Fliege dann davon.

Da du einsam bist,
Von atlasner Glut,
Wortlos haucht die Schuld
Dir ein »endlich« zu.

Ein Verzweiflungsschritt,
Der zu gar nichts führt,
Wissend, voll Geduld
Sichern Tod zu spürn.

Sie ist neu entdeckt.
Was? – Die Ewigkeit.
Meer, das seinen Weg
Mit der Sonne geht.

(Übersetzt von Eric Boerner)


"(...) Im Jahre 2009 wurde ein Manuskript des 23jährigen Österreichers Thomas Bernhard gefunden, das eine fast grenzenlose Bewunderung für Rimbaud belegt. Das Werk R.s zählt für ihn zum Gewaltigsten und ist das Ursprünglichste, das je in französischer Sprache geschrieben wurde, es sind Delirien von unheimlicher Zauberkraft. Bernhard meint, was sein Werk so groß macht, ist seine geschlossene Unförmigkeit. In ausführlichen Darlegungen zur Vita Rimbauds, denn es handelte sich um einen öffentlichen Vortrag, betonte Bernhard das Abenteurertum des Franzosen, der nach seiner Dichterperiode ruhelos durch die Welt gereist war. In dieser Zeit wandte er sich ganz von der Poesie ab und studierte technische Wissenschaften, z. B. Metallurgie, Schiffahrtskunde u. a. Unter Verweis auf Victor Hugo (über Rimbaud: Shakespeare enfant) und Stefan Zweig, zwei weitere Bewunderer des Frühverstorbenen, zieht Bernhard Schlussfolgerungen, die das geistige Vorbild des Franzosen für ihn selbst zeigen: …war seine Literatur eine einzige, freilich weltweite, geschichtlich freie, ungebundene, unverfeinerte, im Schmutz und in den zerrissenen Schuhen triumphierende Religion. … Nur wer um den ewigen Vater fleht, hat Aussicht, bestehen zu bleiben, kann sagen, wie Rimbaud gesagt hat: Ich bin immer."Quelle
Bild: wikipedia

10. Februar 2010

P. Eluard: Wir werden uns auf der Straße ... masturbieren und in den Kinos, am offenen Fenster

Als ich heute durch einen dummen Zufall dieses wundervolle Porträt des großen französischen Dichters des Surrealismus Paul Éluard entdeckt hatte, erinnerte ich mich an einen Brief von ihm an seine Frau Gala (geborene Jelena Dmitrijewna Djakonowa). Mit ihr war er seit 1917 verheiratet, sie hatten auch eine Tochter gemeinsam. Zu dem Zeitpunkt des Verfassens dieses sehr privaten Liebesbeweises war sie bereits nicht mehr seine Frau... Gala wurde zur Geliebten, Begleiterin und Muse von Salvador Dali, der ohne sie nicht mehr malen konnte und sie auf vielen Bildern verewigt hatte... Der Poet Éluard liebte sie immer noch unsterblich und schrieb bis zum Ende seines Lebens an sie... Ich bin mir nicht sicher, ob er es gewollt hätte, das wir - die Nachkommenden seine intimsten Worte an sie je lesen... Aber leider hat er keine Wahl mehr, denn er ist tot und es wurde publik. Ich zitiere daher...

Paul Éluard


"Wir werden uns auf der Straße masturbieren und in den Kinos, am offenen Fenster

Paul Éluard an Gala Éluard

[Paris, 16. Januar 1930]
Donnerstag, 1 Uhr



Meine funkelnde Gala,

Ich bin zurück. Ich erwarte um halb drei Kellers Besuch. Ich hoffe, daß alles klappt, damit ich dann auch zu Dir fahren kann. Ich bin schrecklich aufgeregt. Ich habe eine solche Lust auf Dich. Es ist fast zum verrückt werden. Ich vergehe bei dem Gedanken, Dich wiederzusehen, zu haben, zu küssen. Ich will, daß Deine Hand, Dein Mund, Dein Geschlecht mein Glied nicht mehr loslassen. Wir werden uns auf der Straße masturbieren und in den Kinos, am offenen Fenster. Heute früh habe ich mir mächtig einen runtergeholt und dabei an Dich gedacht. Und meine Phantasie ist unermüdlich. Ich sehe Dein Bild überall, in allem, auf allem. Ich bin zum Sterben in Dich verliebt. Dein Geschlecht bedeckt mein Gesicht, nimmt mein Glied in sich auf, es bedeckt mich mit deiner ganzen Schönheit, Deinem Genie. An Dir ist alles schön: Deine Augen, Dein Mund, Deine Haare, Deine Brüste, Deine Härchen, Dein Hintern, Dein Geschlecht, Deine Beine, Dein Geschlecht, Deine Hände, die das, was sie kneten, nicht mehr loslassen, und dieser Zwischenraum zwischen Deinen Schenkeln, nahe bei Deinem Geschlecht, Deine Schultern. Ich bin ganz besoffen beim Gedanken an jeden einzelnen Teil Deines Körpers. Und alles, was Du tust, berauscht mich, erschreckt mich, quält mich, bezaubert mich, alles, was Du tust, ist vollkommen. Wenn dieses Geschäft zustande kommt, steige ich morgen in den Zug und werde am Samstag vormittag in Marseille sein. Ich werde zum Hotel Bristol fahren und hoffe, daß du sofort zu mir kommen wirst. Char hält sich in Marseille auf. Ich hoffe, ihn zu sehen.

Ich warte auf Keller.
Es hat geklappt: 29 800
Sehr schön. Ich fahre morgen abend.
Grüße an Dali.
Ich liebe Dich über alles.
Paul"

[Quelle: Liebesbriefe großer Männer, Band I)

Back to you

In der Schlaflosigkeit der Nacht angekommen und dich neben mir vermissend, klingt dieses Lied... Die Sehnsucht wird nicht minder... Wo sind deine Hände, Geliebter? Es wird noch einige Tage dauern und es wird feststehen, wer und was ich sein werde und was aus mir sein wird. Denk an mich und wünsch' mir Glück. Wenn du es tun wirst, wird es wirklich helfen. Du musst nur daran glauben. An mich glauben.

Brett Anderson "Back to you" (Duett mit Emanuelle Seigner)


PS des heutigen Tages: Wir beide wissen, dass wir es nie schaffen werden, uns zu begegnen.

9. Februar 2010

Dein Himmel über Berlin

Er zieht weg... Mein Tucholsky...

Wie Rose Ausländer einst schrieb:

"Wir werden uns wiederfinden
im See
du als Wasser
ich als Lotusblume

Du wirst mich tragen
ich werde dich trinken"
zum Gedicht


Vielleicht irgendwann auch wir... In diesem Berliner Cafe "Anna Blume". Warte da auf mich...

Im Jahre 1987 drehte Wim Wenders einen sehr poetischen Film "Der Himmel über Berlin" (engl. Titel "Wings of Desire") über zwei Engel Damiel und Cassiel, die im geteilten Berlin unterwegs sind, nur den Augen der Kinder sichtbar. Bis sich einer der Engel in eine irdische Frau verliebte...


"Der Himmel über Berlin
ist eine poetische Liebeserklärung an das menschliche Leben und seine Sinnlichkeit, ein Film, der über die Schönheit der Welt und über die kleinen Wunder des Alltags philosophiert. Meditative, teils dokumentarische Bilder der Großstadt Berlin, Traumvisionen, Zirkusnummern und Rockmusikeinlagen verleihen dem Film eine magische Schwerelosigkeit. Aufregend schöne Aufnahmen fremdartiger, großstadtromantischer Landschaften lassen an Walter Ruttmanns "Berlin, Sinfonie einer Großstadt" (1927) denken. Erst mit der Metamorphose des Engels Damiel geht eine ästhetische Veränderung einher: Die geheimnisvolle, distanziert wirkende Hyperrealität in Schwarz-Weiß verwandelt sich in lebensnahe Farbigkeit, und die verträumten, fremdartig wirkenden Dialoge verändern ihren Ton.(...) " weiter lesen

Kurt Tucholsky

Berlin! Berlin!

"Berlin hat keine sehr gute Presse im Reich; voller Haß wird diese Stadt kopiert. Was geht da vor?

Einer der Oberschreier im Kampf der Wagen und Gesänge ist Hugenberg. Der hat sich aus den übelduftenden Restbeständen der schmutzigen wiener ›Stunde‹ ein paar Schaufensterdekorateure herangeholt, die, Bonifacio Kiesewettern gleich, die Mauern mit merkwürdigem Farbstoff beklecksen und ihr ottakringer ›Hoppauf!‹ in das gute ›Gib ihm Saures!‹ täppisch zu übertragen versuchen. Wie da Hunderttausende von Lesern sich selbst ausnehmen, wenn Berlin als radikale Lasterhöhle beschimpft wird, wie gleichzeitig der schlecht gelüftete Amtsgerichtsrat in der Provinz sein Germanentum attestiert bekommt und Berlin als bolschewistisches Judennest angeprangert wird – immer mit Ausnahme der geehrten Abonnenten, die wir besonders auf unsern Anzeigenteil verweisen –: das wäre zum Entzücken gar, wenn das Blatt nun auch noch auf Rollen gedruckt wäre.
(...)

Ich liebe Berlin nicht. Seine Wendriners hat Gott in den Mund genommen und sofort wieder ausgespien; seine Festlichkeiten sind sauber ausgerichtet; seine Dächer sagen nicht zu mir: »Mensch! Da bist da ja!« Ich liebe diese Stadt nicht, der ich mein Bestes verdanke; wir grüßen uns kaum. Aber wenn man diese Kulturtrottel in allen Orten des Reiches sieht, ist zu sagen:

Es ist ein kindliches Spiel, die Angst vor der Aufteilung der Bankkonten, Angst vor Unbequemlichkeit, Kasteneitelkeit und unfruchtbare Bildung, die mit dem Blick auf Laotse über den mißhandelten Zuchthäusler nicht einmal stolpert, auf eine Schießbudenfigur ›Berlin‹ zu pappen und nun nach der Scheibe zu schießen. Scheibe. Verfaule in deiner faulen Bildung, Gebildeter. Versauf in feinen Formulierungen, Brillenkerl. Lächle überlegen – ach, bist du kultiviert!

Wenn das Berlin ist: Radikalismus in Militärfragen, Unbedingtheit gegen den Stahl- und Kohlen-Patriotismus; Haß gegen Verblödung durch die Pfarrer Mumm und Pfarrer Heuss; Sabotage der Vorbereitungen zum nächsten Schlachten durch Kriegsminister Geßler, Judikatur und Schule, wenn das alles ›Berlin‹ ist –: dann sind wir und unsre Freunde im ganzen Reich, in Hagen und an der Wasserkante, in der Mark und im sächsischen Industriebezirk, dann sind wir für diese Stadt, in der immerhin Bewegung ist und Kraft und pulsierendes rotes Blut. Für Berlin." weiter lesen

(Ignaz Wrobel, Die Weltbühne, 29.03.1927, Nr. 13, S. 499.)

3. Februar 2010

Variations sur Marilou

Leise Erotik kann derart überwältigend sein und ... Ach, hören Sie es doch selbst...

Serge Gainsbourg "Variations sur Marilou"


Variations sur Marilou (Variations on Marilou)

In her absent look
And absinthe iris
While Marilou has fun making ar-
Ches with menthol smokes
Between two comic strip bubbles
Playing with the zipper
Of her Levi's
I see vice
And I think of Carroll Lewis

In her absent look
And her absinthe iris
While Marilou struggles to make ar-
Ches with menthol smokes
Between two comic strip bubbles
Playing with the zipper
Opening up her Levi's
In her absent look and absinthe
Iris, I say, I see the vice
of Baby Doll*
And I think of Lewis
Carroll

In her absent look
And her absinthe iris
When the speakers spit out
From the cutting stereo
Major and minor chords
While Marilou wears out
Her health, tires herself out
Getting off

While in an absurd daydream
Marilou dissapears
Her coma absorbs her
In obsure practices
Her pupil is absent
And her absinthe iris
Through her gestures colors itself
With underlying extasies
In her look vice
Gives a salacious side
A little washed out blue
From her pair of Levi's
While she exhales
A menthol sigh
My little idiot
Lost in her physical
And cerebral exile
Plays with the metal
Of her zipper, and the atol
Of coral appears
She glues**
A finger that stops
On the edge of the corolla
Is taken near the calyx
By Alice's vertigo
From Lewis Caroll

While in obsure daydreams
Marilou dissapears
Let her coma absorb her
In absurd dreams
Her pupille leaves
And her absinth iris
Suddenly colors itself
With anticipated pleasures
Lost in her physical
And mental exil
One by one she exhales
Feverish sighs
Parfumed with menthol
My little idiot
Tinkles the metal
Of her zipper and narcisist
She pushes the vice
In the washed out blue night
Of her pair of Levi's
Come to the pubis
Of her coral sex organ
Spreading the corolla
Taken on the edge of the calyx
Of vertigo Alice
Presses down to the bone
In the wonderland
Of Lewis Caroll

Absent pupil Absinth
Iris baby doll
Listens to her idols
Jimmy Hendrix Elvis
Presley T-Rex Alice
Cooper Lou Reed the Roll
Ing stones she's crazy about them
Listening to them that narcisist
Plunges with delight
In the petrol blue night
Of her pair of Levi's
She comes to the pubis
And very cool with menthol
She manipulates
Her little orifice
Pushing vice
Right up to the calyx
With a sex symbol finger
Spreading her corolla
On a rock n' roll background
My Alice strays
In the wonderland
Of Lewis Caroll

*1956 film written by Tennessee William
** The French is 'coca-colle' which is a play on words of 'coca-cola.' Cola sounds close to the root of 'coller' to stick or to glue.

English translation ©2006 Alex Chabot