27. August 2008

Josephine, mon amour


An einem Samstagabend spielte sie die Rolle der Josephine. Sie war zu einer Hochzeit eingeladen. Der Stoff eines schlichten, aber eleganten schwarzen Kleides umhüllte ihren schlanken Körper. Ihre Haare genossen den freien Fall auf ihren Schultern und rochen nach Frische einer Sommernacht. Ihr diesmal ungewöhnlich tiefes Dekolletee ließ die Neugier erregenden Aussichten zu.

Es war ein komisches Gefühl. Man zieht ein derartiges Kleid an, trägt ein Sinne betäubendes Parfum, hohe Absätze, und man kann sich von gierigen Blicken der Männer nicht retten. Sie war doch dieselbe geblieben. Keiner schaute aber in die Seele hinein, in das schnell schlagende Herz, die sie in ihrer Tagtäglichkeit ständig mit sich trug. Natürlich, sie waren unsichtbar und somit für den Betrachter ziemlich unattraktiv. Kaum jemand beherrschte die Eigenschaft, es erkennen zu können. Keiner würde es wagen, dem Anderen mit verbundenen Augen zu begegnen, und sich nur dem Sinn und dem Gefühl nach aus den Gesprächen und Berührungen einander hinzugeben. Kaum einer würde es wagen, sein Schicksal auf solche Weise herauszufordern. Sie möglicherweise schon.

Der Bräutigam - ihr Freund-Informatiker sah im Anzug auf einmal älter und seriöser aus. Es hat ihn also erwischt. Ungewöhnlich sah er aus. Denn gewohnt war sie an seine T-Shirts, Jeans und ein krawattenloses Dasein. Heute sah er glücklich aus, auch wenn etwas gestresst und überrumpelt. Überrumpelt vom Glück.
Natürlich war die Braut die Schönste an diesem Abend. Das wird sie das gemeinsame Leben lang mit ihrem Mann bleiben. So scheint es auch richtig zu sein.

Den beiden konnte die Eingeladene von ganzem Herzen wünschen, dass sie sich auch in vielen Jahren an die Versprechungen, Schwüre und Erwartungen, die sich im einzigen Wort „Ja" vereint hatten, immer noch erinnern können. Als sie ihnen gegenüber stand, so blieb nichts mehr von der Stärke und Widerstand dem Heiraten gegenüber. Man muss also nur zu einer Hochzeit kommen, damit man auf einmal schwach und melancholisch wird. Auf einmal vergaß sie, wieso sich die Menschen scheiden lassen, die Ehen scheitern und man verlassen wird. Nein, ihren Freunden wünschte sie Liebe zu erfahren, die erst mit der Zeit entsteht und sich verfestigt. Diejenige wahre Liebe.

Es gab ein Spiel. Sie zog die Karte mit dem Namen „Josephine" heraus. Ihr Tanzpartner wäre erwartungsgemäß Napoleon gewesen. Alle Paare fanden sich, sie bewegten sich im Tanz. Ihr „Napoleon" war nicht da. Womöglich war es ein älterer Mann gewesen, der es sich anders überlegte und nicht tanzen wollte. Womöglich hat man vergessen, die entsprechende Karte für einen Mann anzufertigen. Womöglich hat er sie aber einfach noch nicht gefunden…

Juli 2008

[Bild von mir.]

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